24,9 km – 08:52 h

Nach dem aufregenden Abend gestern haben wir zu dritt noch gemütlich am Kaminofen gesessen, Tee getrunken, und Schokolade gefuttert. Für mich war dann aber um kurz nach neun Schluss und ich bin ins Bett gegangen. Auf die heutige Etappe freue ich mich sehr, denn es soll so schön weiter gehen wie gestern. Noch ist es bedeckt und nebelig, aber es wurde Sonnenschein versprochen! Und etwas blauen Himmel kann ich schon sehen. Nach dem Frühstück und ein paar Aufräumarbeiten mache ich mich reisefertig und verabschiede mich von Nadja und Basti – ich glaube mittlerweile zum achten Mal – diesmal wohl tatsächlich endgültig, es sei denn wir treffen uns in Innset.

So schwierig, anstrenstrengend und anspruchsvoll der Weg gestern war, so entspannend einfach ist es heute. Ich laufe gut sieben Kilometer am Ufer des Bajep Sårjåsjávrre und des Vuolep Sårjåsjavrre (die beiden Gletscherseen) entlang und habe nach etwa 1,5 h die norwegisch-schwedische Grenze erreicht. Ja, heute verlasse ich Norwegen für ca. eine Woche und laufe erst auf dem Nordkalottleden und dann auf dem Padjelantaleden durch Schweden. Die Strecke ist einfacher als auf der weglosen, norwegischen Seite durch den Rago Nationalpark zu laufen – ein sehr felsiges Gebiet, das bei nasser Witterung extrem glatt wird. Grade vor dem Hintergrund des gestrigen Vorfalls muss ich das Risiko nicht unbedingt eingehen.

etwas breiter als sonst…

Als Erstes steht heute eine Flussquerung auf dem Programm. Laut Info der anderen NPL-Läufer ist der Fluss am besten an der Seemündung zu furten. Dort ist er zwar sehr breit, aber nicht mehr tief. Trotzdem ziehe ich meine Wanderschuhe lieber aus, es läuft sich grade so gut in trockenen Schuhen.

Direkt an der Grenze hören dann die roten Markierungen des DNT auf und ich folge einem ausgetretenen Pfad, der sporadisch von kleinen Steinmännchen gesäumt ist. Ab und zu muss ich zwar schauen, ob ich noch dem richtigen Weg folge, aber eigentlich geht es immer am See und später am Fluss entlang durch das Tal des Sårjåsjåhkå. Gegen 10:00 Uhr passiere ich die erste schwedische Hütte, die Sårjåsjaurestugan. Die Besonderheit in Schweden ist, dass die Hütten fast alle mit einem Hüttenwart besetzt sind. So treffe ich hier auf Tanja, die mir voller Freude entgegen läuft – bis sie merkt, dass ich gar nicht ihr „boyfriend“ bin… auf den wartet sie nämlich. Sorry, aber trotzdem werde ich auf ein Glas kalte Limo eingeladen. Dabei erzählt mir Tanja, dass dies die älteste schwedische Hütte ist und dieses Jahr genau 101 Jahre alt wird. Ich berichte ihr daraufhin von der Argaladhytta und gleich wird ein Besuch auf die To-Do-Liste gesetzt. Ich bekomme noch ein paar Infos zum weiteren Weg und bei mittlerweile strahlendem Sonnenschein laufe ich gemütlich weiter. Allerdings nur ein paar Minuten, dann stört mich ein Schmerz am linken Fuß. Es nervt zwar dass ich schon wieder halt machen muss, aber so etwas kontrolliere ich lieber sofort! Und richtig, unter dem linken Mittelfuss finde ich eine kleine Blase! Ob es an den neuen Schuhen liegt oder an einer Falte in der Socke kann ich nicht feststellen aber dank Simones Wunder-Wander-Watte und etwas Tape geht es schnell wieder relativ schmerzfrei weiter.

101 Jahre, das Alter sieht man ihr nicht an.

Nicht lange, dann erreiche ich die nächste Hütte mit „Aufpasser“. Die Stàddajohka stugorna besteht aus mehreren Gebäuden und hier kümmert sich Andrew um die Gäste. Na ja, er kommt kurz raus, sagt dass alle Wanderer bereits fort sind (?) und als ich erkläre, dass ich nur kurz rasten will verschwindet er wieder in seiner Hütte.

Mich begleiten heute wieder viele Rentiere die überhaupt nicht scheu sind. Die Tiere laufen zwar frei umher, gehören aber immer einer bestimmten Sami-Familie. Verschiedene Kombinationen von Schnitten in den Ohren kennzeichnen die Zugehörigkeiten und Besitzverhältnisse. Im Juli werden die Herden zusammengetrieben und die Kälber bekommen ihre Markierungen. Im Herbst und im frühen Winter wird dann ein gewisser Prozentsatz an Tieren geschlachtet. Ein Großteil des Fleisches geht in den Export, der Rest dient als Lebensgrundlage für die Sami.

Jetzt sind es noch 12 km bis zu meinem Ziel Staloluokta. So sieht es jedenfalls meine Etappenplanung vor, weil es dort einen Kiosk geben soll, der angeblich sogar frisches Obst verkauft. Aber je weiter ich laufe, desto unzufriedener bin ich damit. Der Pfad führt immer noch am Fluss entlang und es gibt hier einen schönen Campspot nach dem anderen. Ich überlege hin und her, kann mich aber zu keiner Entscheidung durchringen. Ich bin eigentlich mit allem gut versorgt und freue mich mal wieder auf eine Nacht im Zelt, andererseits locken Chips und Cola. Ich laufe weiter und grüble bestimmt zwei Stunden darüber nach, was ich machen soll. Erst als ich an einen Wasserfall komme, der in einen blauen See stürzt fällt die Entscheidung. Hier bleibe ich! Und morgen gehe ich erst um 08:00 Uhr los, dann bin ich passend zur Öffnung am Kiosk in Staloluokta und es gibt Chips und Cola eben zum Frühstück!

Fazit: ein herrlicher Tag mit herrlichem Wetter. So kann ich das Alleinsein genießen. Warum ich so lange gebraucht habe um eine Entscheidung zu treffen wo ich übernachten will ist mir ein Rätsel. Jetzt sitze ich in der Abendsonne, höre auf das Rauschen des Wasserfalls und betrachte die Reflexionen des Sonnenlichts auf dem blauen See. Und ich bin froh, dass ich nicht mit vielen anderen Menschen auf einem Campingplatz stehe.

P.S.: grade sind zwei junge Wanderer gekommen und haben ihr Lager unterhalb von meinem Plateau aufgeschlagen. Einer der beiden angelt – vielleicht bekomme ich ja heute Abend noch eine Forelle!