Die ersten Tage in Honningsvåg fühlen sich an wie ganz normale Pausentage auf der Wanderung. Ich lasse es langsam angehen, genieße in Ruhe das Herbergsfrühstück und gehe einkaufen, Wäsche waschen, lesen… Nur mit dem Essen muss ich ab heute aufpassen, das habe ich mir jedenfalls vorgenommen. Die tägliche 200 g Tafel Schokolade, Schokokekse, Nüsse und auch die Portionsgrößen – das alles muss ich schnellstens an meine gelaufene Kilometerzahl anpassen, die quasi fast wieder bei Null liegen wird.
Fast wie ein Dejavu kommt es mir vor, als ich spät am ersten Abend Charlotte kennen lerne, die von außen an mein Fenster klopft. Völlig erschöpft kommt sie mit ihrem Rad in die Herberge und bricht in Tränen aus, als ihr gesagt wird, dass keine Touristen mehr aufgenommen werden. Letztendlich wendet sich aber alles zum Guten und sie bekommt natürlich ebenfalls ein Zimmer.
Tag 136
Normalerweise würde ich heute meine Sachen packen, um wieder los zu laufen. Aber das ist ja jetzt vorbei! Ich bin innerlich unruhig, aber das ist wahrscheinlich ganz normal. Ich vertreibe mir die Zeit, bis ich um 7:00 Uhr frühstücken kann, mit dem Lesen und Korrigieren meines Blogs. Während des Frühstücks unterhalte ich mich mit einem deutschen Pärchen, das ebenfalls mit dem Rad zum Nordkap unterwegs war und heute den Weg nach Hause antritt. Gegen 10:30 Uhr ziehen ich meine Wanderschuhe an und mache mich auf den Weg ins Zentrum.
Ich freue mich darauf ein wenig in den Geschäften herum zu stöbern und vielleicht finde ich ja ein paar nette Souvenirs für meine Lieben daheim. Der Weg hinunter bis zum Hafen dauert gute 20 Minuten, das bedeutet, ich werde am Samstag um 5:00 Uhr hier aufbrechen um rechtzeitig an Bord der Kong Harald zu gehen. Den Aufstieg über die Nordkap Treppe zum Storefjell, auf den Hausberg, verschiebe ich lieber auf morgen oder übermorgen, da die Wolken fast bis hinunter auf die Oberfläche des Meeres reichen.
In einer kleinen Bäckerei am Hafen setze ich mich an das Fenster, trinke einen Kaffee, esse zwei Zimtschnecken und beobachte die Schiffe im Hafen. Die Shoppingtour durch die Geschäfte bleibt allerdings heute erst mal erfolglos. Auf dem Rückweg kaufe ich eine Flasche Rotwein im Vinmonopolet – da Nadja heute ebenfalls ihre Tour beendet können wir den Abschluss vielleicht mit einem Glas Wein feiern.
Tag 137
Wieder ein schönes Frühstück, heute sogar in Gesellschaft von Nadja. Danach lese ich eine Weile und warte darauf, dass der Regen endlich aufhört. Um 11:30 Uhr mache ich mich dann wieder auf den Weg ins Zentrum schaue noch mal in verschiedene Geschäfte rein und beobachte die Kong Harald beim einlaufen.
Das Schiff ist auf dem Weg nach Kirkenes und kommt am Samstag wieder hier vorbei, um mich an Bord zu nehmen. Ich frage eine Mitarbeiterin des Expeditionsteams wie der Check-In stattfindet. Da es keinen Terminal oder Schalter gibt, passiert der Check-In direkt auf dem Schiff. Also alles ganz simpel.
Obwohl es immer noch sehr nebelig und diesig ist, mache ich mich auf den Weg über die Nordkap-Treppe hoch zum Storefjellet. Die Treppe hat mindestens 700 Stufen, danach habe ich aufgehört zu zählen. Es ist schön sich wieder richtig zu bewegen und gleich bin ich auch wieder alleine in der norwegischen Landschaft unterwegs. Selbst hier, ganz in Stadtnähe, treffe ich auf Rentiere, die überhaupt keine Scheu mehr zeigen.
Oben angekommen hat man wahrscheinlich einen tollen Blick über das Fjell, ich sehe leider nur Nebel. Der Wind ist aufgefrischt und recht kalt, also halte ich mich hier oben nicht lange auf, sondern mache mich wieder an den Abstieg. Die Trekkingstöcke habe ich nicht mitgenommen und so passiert, was passieren muss, ich rutsche auf den glatten Felsen aus. Das fehlt gerade noch: nach 2800 km unfallfreier Wanderung ein Beinbruch am letzten Tag. Aber außer einem blauen Fleck passiert nichts. Unten im Hafen angekommen, setze ich mich wieder in die gemütliche kleine Bäckerei und bei einem Mandelcroissant und einer Tasse Kaffee wärme ich mich auf, während ich beobachte wie die Kong Harald wieder ablegt. Auf dem Nachhauseweg kaufe ich noch im Supermarkt für mein Abendessen und für die fünf Tage im Schiff ein. Etwas Brot und Müsli, ein paar Kekse und nur eine (eine!) Tafel Schokolade.
Tag 138
Der letzte Tag im Vandrerhjem. Heute darf ich noch einmal am Frühstücksbuffet zugreifen, morgen muss ich ja schon um 05:00 loslaufen zum Hafen. Pünktlich um 7:00 Uhr sitze ich also am Frühstückstisch. Auch Nadja kommt etwas später dazu und wir verquatschen fast den ganzen Vormittag. Ich will heute Mittag noch einmal ins Zentrum laufen, aber vorher packe ich meinen Rucksack soweit es schon sinnvoll ist. Wieder habe ich Verpflegung für fünf Tage dabei, genau wie auf der Wanderung – allerdings waren in den letzten Wochen keine sechs Dosen Bier dabei. Aber die kurze Strecke bis zum Hafen werde ich schon mit dem Rucksack schaffen.
In der Stadt treffe ich mich mit Nadja und wir gehen gemeinsam essen. Diesmal kein Burger- oder Pizzaimbiss sondern in einem echten Restaurant. Dort bestelle ich Boknafisk, ein traditionelles Gericht hier von der Insel Magerøya, das ich in einer Videodoku im Museum kennengelernt habe. Was ich bekomme, ist dann gedünsteter Trockenfisch mit Kartoffeln, großzügig Schinken, Speck und eine Art Püree aus Möhren, Sahne und Mehl. Schmeckt sehr… spannend, aber nicht schlecht. Den Abend verbringen wir mit Chips und Bier im Gemeinschaftsraum und lassen die Erlebnisse der letzten Monate noch einmal gemeinsam Revue passieren.
Gut gemacht! Der Abschluss ist ebensowichtig wie das Abenteuer selbst. Lass dir Zeit und geniesse die Fahrt südwärts. Leinen los!