30,15 km – 08:58 h
Was mich heute weckt ist nicht das Trommeln des Regens auf dem Zeltdach sondern das nervtötende Gebimmel der Schafglocken. Dabei habe ich eigentlich gedacht wir hätten das gestern schon abschließend ausdiskutiert, als ich den Tieren lautstark klar gemacht habe, dass dieser Platz für eine Nacht von mir gebucht wurde. Aber gut, wach ist wach. Und dann doch lieber von Schafen als von Regen geweckt! Der Blick aus dem Zelt zeigt mir einen verhangenen Himmel, aber man kann ahnen, wo später die Sonne durchkommt. So lange will ich aber nicht warten. Die üblichen, morgendlichen Handgriffe, Müsli, Kaffee, Sachen packen, all das funktioniert quasi im Schlaf. Um kurz vor halb sieben ziehe ich los und freue mich über den trockenen Start in den Tag.
Mein Weg führt mich heute durch die westlichen Ausläufer des Greipfjellet und durch das Greipfjellbekken hinunter in das Famvassdalen. Nach einem Stück Schotterstraße geht es dann wieder steil bergauf. Die ganze Strecke folgt immer noch der Nordlandruta und ist, was die Bodenbeschaffenheit und die Ausblicke angeht, sehr vielfältig.
Ich lasse es ruhig angehen und „horche“ immer wieder auf mein Knie, kann aber nichts hören. Läuft also! In den tieferen Gebieten komme ich durch ganze Moltebeer-Plantagen. Die Früchte erinnern an Brombeeren, sind ausgereift aber gelb und schmecken süßlich mit einer leicht bitteren Note. Ein Glas Moltebeer-Marmelade gehört eigentlich nach jeder Norwegenreise auf die „Mitbringselliste“. Hier gibt es die Früchte direkt auf die Hand und ich mache eine ausgiebige Moltepause. Im Gegensatz zu Blaubeeren hat man schnell ein paar Hände voll gesammelt. Leider dringt man beim Sammeln der tief am Boden wachsenden Früchte unweigerlich in das Hoheitsgebiet der Mücken ein… die das überhaupt nicht komisch finden.
Um 14:00 Uhr habe ich mein Tagespensum fast geschafft und freue mich auf einen schönen Zeltplatz am Storelva. Jetzt liegt nur noch ein sehr steiler Abstieg vor mir, der Pfad ist völlig überwuchert und ich kann kaum erkennen wohin ich trete. Also nur halbe Kraft voraus und immer schön vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen. Gleich hinter der Hängebrücke über den Fluss hoffe ich auf einen schönen Platz, vielleicht sogar mit Bank und Tisch, oder sogar eine Gapahuk…Leider finde ich aber lediglich kniehohes Gras und Gebüsch.
Etwas enttäuscht und reichlich genervt muss ich also weitersuchen, finde aber nichts bis ich plötzlich schon an der Straße stehe. Hier kann ich das Campen getrost vergessen. Obwohl ich nun doch die 25 km in den Beinen spüre geht es weiter und ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass ich wieder hinauf ins Fjell muss, um einen Platz für die Nacht zu finden. Noch ein Aufstieg…? Aber es gibt eine Alternative, die ich eigentlich für mich schon verworfen habe. Etwas abseits meiner Route liegt die Stekvasselv Fjellgård, eine kleine Farm, auf der von Kari und Håkon auch Übernachtungsplätze angeboten werden. Gestern hat Stefan noch von einer Frau berichtet, die ihnen diese Unterkunft wärmstens empfohlen hat. Da es nun auch noch anfängt zu regnen fällt mir die Entscheidung nicht sonderlich schwer und ich rufe an, um nach einer Übernachtung zu fragen. Kari ist am Telefon und bestätigt mir, dass genügend Platz ist. Sie bietet sogar an mich mit dem Auto an der Straße abzuholen. Das würde mein „Wandererstolz“ aber nicht zulassen. Die drei Strassenkilometer schaffe ich trotz müder Beine auch noch und nass (geschwitzt) bin ich ja sowieso. So werden dann aus geplanten 23 km plötzlich 30 km.
Auf der Farm nimmt mich Håkon in Empfang und natürlich treffe ich auch Simone und Stefan wieder. Obwohl in der Regel nur ein Schlafplatz angeboten wird fragt ein immer hungriger Hiker natürlich nach Verpflegung und nach einer kurzen Weile kommt Håkon mit zwei großen Tüten zurück: Cola, Brot, Eier, Bacon, Pfannkuchen, verschiedene Fertiggerichte, Milch, Bier, Äpfel…. „Nehmt was ihr braucht“.
So ein üppiges Abendessen hatte ich seit Limingen nicht mehr! Ich bin froh mich für die Stekvasselva entschieden zu haben – zumal es mittlerweile Bindfäden regnet!
Fazit: Spontane Entscheidungen aus dem Bauch heraus sind oft nicht die Schlechtesten. Wobei ich aktuell unterscheiden muss zwischen Bauchgefühl und Hungergefühl…