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Tag 71

Es fühlt sich tatsächlich an, als hätte ich ein langes Wochenende vor mir. Heute und morgen gibt es zwei volle Pausentage, das bedeutet lange schlafen, viel essen, einkaufen, die Einkäufe essen, das Versorgungspaket in den Rucksack packen, alles was nicht rein passt essen, etwas lesen und ein wenig Schokolade essen, dann die Zeit nutzen um etwas zu dösen und zu warten bis es Essen gibt…

Frühstück gibt es um 08:00 Uhr und es dauert lange. Ich unterhalte mich viel mit Simone und Stefan, auch nach dem Abräumen genießen wir den gemütlichen Aufenthaltsraum bei Gesprächen, Tee und Kaffee. Unerwartet kommt Hilde an unseren Tisch und stellt ein Tablett mit frischen Waffeln, Marmelade und Rahm vor uns hin. Einfach so! Was für eine liebe Überraschung… Vielleicht hat ihr auch zu denken gegeben, dass wir gestern nach dem Essen nochmal Pommes und Pizza bestellt haben? Die Gastfreundschaft hier in der Limingen Gjestegård sucht ihresgleichen!

Hans Viktor ist gestern auch noch angekommen, und setzt sich ebenfalls gut bewaffelt zu uns an den Tisch. Es wird wieder ein wenig über die verschiedenen Routen gefachsimpelt. Wir wollen die Strecke über den Namsvatnet ja gerne mit dem Kanu fahren, Hans wird um den See herumlaufen, die dritte Möglichkeit wäre ein Boot-Taxi. Aber noch gilt der Vorsatz den Weg zum Nordkap mit eigener Muskelkraft zu bewältigen.

Nach dem zweiten Waffelfrühstück machen wir uns auf um die notwendigen Einkäufe im hiesigen Joker-Markt zu erledigen. Grundsätzlich deckt mein Paket den Bedarf an Hauptmahlzeiten ab, aber es fehlt mir Verpflegung für die Pausen. Eine neue Gaskartusche kaufe ich sicherheitshalber auch, weil ich immer noch nicht einschätzen kann, wie hoch mein tatsächlicher Gasbedarf ist. Bisher konnte ich ja häufig auf die Kochgelegenheiten in den Hütten zurückgreifen, dass fällt im Børgefjell aber nun weg. Also nehme ich lieber das zusätzliche Gewicht in Kauf bevor ich meine Mahlzeiten mit kaltem Wasser aufweichen muss.

Dank Stefan hat sich mein Sockenproblem gelöst – ganz lieben Dank an http://www.1zelt4beine.de

Ich hätte auch weder im Supermarkt noch an der Tankstelle Ersatz bekommen, wobei die Tankstellen hier echte Vollsortimenter sind! Neben den üblichen Dingen wie Zigaretten, Getränke und Süßigkeiten bekommt man hier auch Motorsägen, Angelausrüstung, Jagdmesser, Campingbedarf, Lebensmittel, Werkzeug, etc. Darüber hinaus ist die Tanke auch gleichzeitig die Touristeninformation und ein „Fjellmuseum“ mit allen möglichen Informationen zu Fauna und Flora im Børgefjell.

Den Rest des Nachmittags verbringe ich mit dem Versuch die Rationen für 12 Tage irgendwie in dem Rucksack unter zu bringen ohne auf Zelt oder Schlafsack verzichten zu müssen. Dann wird gelesen und dafür gesorgt, dass die Füße so wenig wie möglich den Boden berühren.

Elchburger

Um 19:00 Uhr meldet sich mein Magen wieder und bringt sich knurrend in Erinnerung. Äpfel, Schokolade und Kekse haben wohl nicht gereicht. Passt aber gut, da wir um diese Zeit zum Abendessen verabredet sind. Außer uns Dreien sind wohl grade keine Gäste da, also ein etwas entspannterer Abend auch für Hilde. Ihr Vorschlag, uns Burger mit Elch-Patties zu machen, findet sofort begeisterte Zustimmung.

Wir unterhalten uns viel und Hilde setzt sich eine Weile zu uns, als wir einen norwegischen Vodka trinken müssen. Simone und Stefan haben auf ihrem Blog eine „Sponsorenfunktion“ eingerichtet. Über PayPal werden dort manchmal zweckgebundene „Spendenbeiträge“ hinterlegt, so zum Beispiel für eine Flasche Wein, oder eben für einen norwegischen Vodka. Hilde erweitern das Spirituosenangebot noch um einen Blaubeerschnaps (ähnlich dem deutschen Feigling) und in Kombination mit ein, zwei Gläsern Bier wird es ein stimmungsvoller Abend und erst gegen 24:00 Uhr liege ich todmüde im Bett. Auch Pausentage können unglaublich anstrengend sein.

Tag 72

Wieder ein gemütliches Frühstück zu dritt, wir sind immer noch die einzigen Gäste und fragen uns, wie Hilde hier überhaupt über die Runden kommt. Ich fühle mich hier so wohl, dass ich gerne darüber nachdenke auch mal in den Osterferien hier zwei Wochen zu verbringen. Laut Hilde ist dann die schönste Winterzeit. Bis zu zwei Meter Schnee, aber die Frühlingssonne ist schon so warm, dass man im T-shirt rumlaufen kann. Ein Winterurlaub in Norwegen kommt auf jeden Fall auf die Bucketlist.

Ich bereite meine Ausrüstung auf den nächsten Tourenabschnitt durch das Børgefjell vor, die (jetzt trockenen!) Schuhe bekommen eine Intensivkur mit Schuhwachs, die Regenjacke ist frisch imprägniert… also gut gerüstet für die nächsten elf weglosen Tage. Der Rucksack ist noch ein wenig schwerer als ich es mir vorgestellt habe, einzig der Gedanke, dass das Gewicht ja täglich weniger wird, tröstet ein wenig.

Tankstellenmuseum

Auch der restliche Tag ist bis zur letzten Minute ausgefüllt mit Ausruhen und Entspannen. Ein kleiner Spaziergang durch das Örtchen, ein Abstecher in das Tankstellen-Baumarkt-Haushaltswaren-Restaurant-Museum, das sind die Highlights des Tages, mal abgesehen von Hildes fantastischer Küche. Man kann einen Tag sehr gut damit ausfüllen nach einer Mahlzeit auf die nächste zu warten.

Ich prüfe die weiteren Etappen der nächsten Tage nochmal, und aktualisiere die Gesamtkilometerleistung. Dabei fällt mir auf, dass ich ja die Halbzeit erreicht habe! Ausgehend von den geplanten 2.800 Kilometern habe ich bereits 1.406 km geschafft! Bergfest also! Da ist die Limingen Gjestegård genau der richtige Ort um dies zu feiern. Gut, so hundertprozentig lässt sich das nicht festmachen, ich weiß ja nicht welche Plan- und Wegänderungen noch auf mich zukommen.

Fazit: die beiden Erholungstage haben mir sehr gut getan, aber tatsächlich drängt es mich weiter und ich werde innerlich ungeduldig. Ich bin gespannt auf die Etappe über den Namsvatnet und das Børgefjell.

Exkurs: Das Hosenproblem

Ich habe ja bereits in loser Reihenfolge über einige, problematische Umstände in Zusammenhang mit einer Fernwanderung referiert. Der aufmerksame Leser wird sich an das Einkaufsproblem (Ikea-Syndrom), das Zeltplatzproblem (gute Spots nur bis 09:30), das Regenproblem (wann zieht man Regensachen an bzw. aus) und an das Fliegenproblem (warum bin ich für die Fliegen interessanter als Schafsexkremente) erinnern. Als ich heute den Gürtel aus den Schlaufen ziehe, fällt mir ein weiteres Problem vor die Füße und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: das Hosenproblem! Kaum ist der Gürtel geöffnet, fällt die Hose zu Boden. Hintergrund der Problematik ist, dass der gemeine Fernwanderer in der Regel nicht in der Lage ist, den täglichen Kalorienbedarf über mitgeführte Lebensmittel zu decken. Auch das Jagen und Fischen stellen unter Aufwand-Nutzen-Betrachtungen keine effizienten Ergänzungen dar. In Folge wird der menschliche Körper unweigerlich die körpereigenen Reserven angreifen um die Energie für die täglichen Anstrengungen bereit zu stellen. Kurz gesagt bei einer durchschnittlichen, täglichen Wanderleistung von 22 km mit einem Rucksackgewicht von ca. 20 kg nimmt man über einen Zeitraum von zwei Monaten einfach rapide ab.

Was das mit den Hosen zu tun hat? Nun, da sich dieselbigen nicht von alleine dem Bauchumfang anpassen muss der Gürtel eben enger geschnallt werden. Dies führt aber dazu, das der Hosenbund auf Höhe der Hüfte seitlich gerafft wird. Diese Hosenbundfalten liegen, bei normalen anatomischen Körpermaßen, genau unter dem Beckengurt des Rucksacks. Der Beckengurt überträgt den Löwenanteil des Gewichtes auf die Hüfte und somit genau auf die gerafften Hosenbundfalten. Im Ergebnis führt dies über einen längeren Zeitraum zu schmerzhaften Druckstellen und aufgescheuerten Wunden an den Hüftknochen und im Taillenbereich. Persönlich konnte ich derartige Beeinträchtigungen reduzieren, indem ich die Wanderhose so hoch ziehe, dass die Gürtelschnalle etwa 12 cm oberhalb des Bauchnabels zu liegen kommt und der Faltenwurf nach vorne zur Körpermitte gezuppelt wird (die dann deutlich zu kurzen Hosenbeine können aus ästhetischen Gründen durch Gamaschen kaschiert werden). Nun muss nur sichergestellt werden, dass der Hüftgurt des Rucksacks dauerhaft unterhalb der Gürtelschnalle verbleibt – möglichst festes Anziehen der Gurte ist dabei hilfreich. Bereits vorhandene Blessuren und wunde Druckstellen lassen sich sehr gut mit zweckentfremdeten Blasenpflastern abdecken.