17,72 km – 05:44 h

Nach einer ungestörten Nacht bin ich um 04:00 Uhr wach. Na ja, immerhin sieben Stunden Schlaf. Draußen ist es hell, die Sonne ist noch nicht über den Horizont gestiegen. Es weht ein ziemlich starker und kalter Wind. So richtig will ich aus dem warmen Schlafsack nicht raus, also mache ich mir zuerst einen Kaffee in der Zeltapsis und hole die kalten Wanderklamotten in den Schlafsack um sie vorzuwärmen. Nachdem ich mir den Kaffee fast ins Zelt gekippt hätte, beschließe ich das Frühstück dann doch lieber nach draußen zu verlegen.

und noch ein Morgensonnenfoto

Frühstück ist ein wenig übertrieben: außer einem Riegel und drei Scheiben Knäckebrot habe ich leider nichts mehr, aber ich kann ja heute für Nachschub sorgen. Auch Kaffee und Milchpulver sind aufgebraucht. Also ist meine heutige Ankunft in Rjukan provianttechnisch exakt geplant.

Gut gelaunt lege ich einen ganz gemächlichen Gang ein. Ich habe endlos viel Zeit und nur 16 km Strecke vor mir. Meine Ankunft in der Rjukan Gjestegård habe ich nicht vor 15:00 Uhr geplant. Es fühlt sich eher an wie ein Morgenspaziergang als eine Wanderung. Der Weg führt an vielen Schneefeldern vorbei, das Schmelzwasser formt bizarre Figuren am Straßenrand. Leider kann ich die Bilder mit dem Handy nicht wirklich gut einfangen. Und natürlich Wasser! Überall wo ich hinsehe gibt es Flüsse, Bäche, Rinnsale und Wasserfälle. Haben nicht die Inuit über 100 Ausdrücke für Schnee? Die Norweger müssten eigentlich ebensoviele für Wasser haben.

Einige Kilometer halte ich mich an das Seeufer, dann geht es hoch. Die Tour ist heute geprägt von Statkraft, dem staatlichen Energieversorger (Fakt für Besserwisser: Norwegen produziert seine Energie zu über 99% regenerativ aus Wasser- und Windkraft – Erdöl und -gas spielen fast keine Rolle).

Die Anlagen sind so mitten in der Natur sehr… Ich sage mal prägend. Mein Weg führt mich plötzlich vor eine gesperrte Brücke. Freundlicherweise ist eine Umleitung angegeben, die mich direkt durch das Anlagengelände führt. Der Pfad geht extrem steil bergab und das Gehen auf dem rutschigen und nassen Boden ist anstrengender als ich mir das für heute vorgestellt habe. Dann muss ich sogar noch auf allen Vieren kriechen um unter den Laufwasserrohren durch zu kommen. Eine freundliche Forstarbeiterin, die grade mitten auf dem Trail ihre Mittagspause macht, versichert mir aber, dass das der richtige Weg sei… jedenfalls war es das, was ich mit meinen Norwegischkenntnissen verstanden habe.

Da ist der Rucksack dann hängen geblieben.

Über Mangel an Abwechslung kann ich mich heute nicht beklagen. Leider ist der von mir gewählte Weg entlang des Flusses gesperrt, so muss ich die letzten 6 km doch wieder auf die Straße. Schade, sonst wäre es heute perfekt gewesen.

Brücke über die Måna zur Straße
Ab 17:00 gibt es hier Bungeejumping, aber so lange kann ich nicht warten.

Trotz meiner Trödelei und des anspruchsvollen Abstieges ins Tal bin ich um 12:00 Uhr am Ziel. In der Gjestegård beziehe ich mein Zimmer. Meine Vorläuferin ist gestern schon angekommen und wir gehen zusammen auf Nahrungssuche. Fällt nicht schwer in einem riesigen Rema 1000. Ich freue mich schon auf meinen Einkauf für die nächsten sechs Tage. Das kann ich aber morgen erledigen. Heute sitzen wir noch einmal zusammen und tauschen uns über mögliche Streckenalternativen aus. Der Schnee in den Höhenlagen ab 1000 m ist und bleibt das zentrale Thema. Wir diskutieren die Möglichkeit ab Geilo mit der Bahn über Oslo nach Eidsvoll zu fahren. Das wäre praktisch eine Parallelverschiebung nach Osten und man könnte in die Rondane einsteigen (über den Rondanestigen) ohne über die hohen, westlichen Gebirge zu müssen. Nun, die nächsten sechs Tage wird es genug Zeit geben darüber nachzudenken. Ein paar andere Alternativen habe ich noch von Stefan bekommen, auch die werde ich mir morgen in Ruhe ansehen. So ein bisschen Trail-Community ist wirklich wertvoll!!

Rjukan im Tal

Fazit: Wenn man durch Norwegen läuft und die Abermilliarden Tonnen Wasser sieht, die jede Sekunde durch das Land fließen ist es kaum vorstellbar, dass anderswo Menschen verdursten.