25,46 km – 09:39 h

Warum ist der Start aus einer Hütte eigentlich immer so schwierig? Draußen heult der Wind um die Hütte, Wolken werden bis zu mir herunter gedrückt und wenn ich aus dem Fenster blicke sehe ich nicht viel. Angesagt war für heute trockenes Wetter mit starkem Wind in Böen bis 23 m/sek. (sind das dann 80 Km/h??) Erst gegen 17:00 Uhr soll es dann auch Regen geben. Zum Glück gibt es unterwegs die Kvitsteindalstunet, eine recht neue DNT-Hütte, ca. 15 km von hier. Dort kann ich zur Not abbrechen, wenn es zu heftig wird. Eigentlich möchte ich aber auch mal wieder etwas Strecke machen nach all den kurzen Tagen. Für eine Mittagspause liegt die Hütte aber günstig. Ich werde einfach schauen, wie es sich entwickelt – erstmal muss ich mich aber aufraffen und überhaupt loslaufen. Bis jetzt habe ich es noch nicht mal aus dem Schlafsack geschafft. Nachdem ich gestern noch mit Pe telefoniert habe lag ich noch lange wach und musste an zu Hause denken… überhaupt denke ich grade häufig an „die Heimat“. Vielleicht der Tourkoller oder doch ein Anflug von Heimweh? Wenn ich in diesem Moment ein Portal durchschreiten könnte das mich direkt in unser Wohnzimmer führt – ich glaube ich würde es tun. Dabei liegen doch noch so viele spannende Etappen vor mir! Na ja, hier liegen bleiben kann ich jedenfalls nicht, und da sich niemand wegen des Portals gemeldet hat muss ich wohl raus aus den Daunen.

Zum Frühstück gibt es ein Fremdmüsli von Nadja, das extrem lecker ist!! Danke nochmal dafür, Nadja, und bitte mal schreiben was genau da drin war! Dann packe ich meinen Kram möglichst leise zusammen um Simone und Stefan nicht zu wecken und verschwinde aus der gemütlichen Sauvasshytta.

Der Wind reißt mir die Tür aus der Hand sobald sie einen Spalt breit geöffnet ist und mich erwartet dickster Nebel. Die Böen haben ordentlich Angriffsfläche mit dem schweren Rucksack und ich muss aufpassen, dass ich mein Gleichgewicht auf den Felsen und Geröllfeldern nicht verliere. Das Laufen ist mühsam unter diesen Bedingungen, aber nach wie vor ist der Trail hervorragend markiert und so finde ich auch im Nebel meinen Weg. Nach etwa einer Stunde (?) Gerölllaufen wird der Nebel zu einer richtig dicken Suppe und ich glaube die Hand nicht mehr vor Augen sehen zu können… dabei stehe ich plötzlich vor einem Schneefeld, das weiß auf weiß in die nebelige Umgebung über geht.

Da ich nicht sehen kann wo auf der anderen Seite der Pfad weiter geht quere ich das Feld einfach geradewegs und suche mir den Trail mit dem GPS wieder. Natürlich muss ich beim letzen Schritt auf einer Eisfläche ausrutschen und lande rücklings wie ein Käfer auf dem Rucksack. Ich muss tatsächlich die Gurte lösen um wieder hoch zu kommen. Passiert ist zum Glück nichts weiter, ich bin nur recht nass geworden – bei dem Wind eine Sache von ein paar Minuten bis alles wieder trocken geföhnt ist.

ein Lichtstreif am Horizont

Überhaupt ist der Weg recht anspruchsvoll und ich merke deutlich, dass es höchste Zeit wird die Schuhe zu wechseln. Das Profil lässt deutlich nach und ich finde nur noch schlecht Halt auf nassem oder rutschigem Untergrund. Aber in acht Tagen wartet in Sulitjelma ja das Schuhpaket auf mich, solange werden die Alten noch durchhalten.

Furtstelle oberhalb des DNT-Trails
Rentierleiter

Aus dem Melkfjellet geht der Trail hinunter und kreuzt das Sandtjøndalen um danach wieder hinauf ins Litlumfjellet zu führen. Der Weg wird leider nicht einfacher, nur nasser und matschiger. Es gibt mehrere Flussquerungen, aber nur bei der ersten muss ich die Schuhe ausziehen. Alle anderen kann ich mit Schuhen und Gamaschen furten, wenn auch nur knapp. Nachdem ich dann über einen Rentierzaun geklettert bin zeigen mir Plankenwege über den sumpfigsten Stellen an, dass ich mich der Kvitsteindalstunet nähere. Pünktlich zur Mittagszeit erreiche ich dann diese schöne, fast neue Hütte und bin froh erstmals aus dem Wind rauszukommen. Ich bin hier diesmal nicht alleine, sondern zwei Norwegerinnen übernachten hier auf ihrer Tour durch das Melkfjellet. Beide sind damit beschäftigt einen großen Eimer Moltebærer zu verarbeiten. Ich mache mir Wasser heiß für mein Mittagsgericht und koche einen Kaffee. Ein angebotenes Glas Wein lehne ich dankend ab… mir ist immer noch ein Rätsel warum! Nach den Beeren kümmern sich die Frauen um Brennholz und wir haben nur wenig Gelegenheit zu reden. Um 14:00 Uhr will ich wieder los. Der Wind frischt zwar immer weiter auf, aber ich traue mir zu trotzdem weiter zu laufen. Nach weiteren acht Kilometern gibt es noch eine Nothütte auf dem Weg, die Kvepsendalskoia. Das soll mein heutiges Ziel sein. Als ich meine Schuhe anziehen will merke ich, dass der Wind eine der Einlegesohlen weggeweht hat… kurze Panik, 15 Minuten suchen, dann finde ich das „gute Stück“ in einem Gebüsch. Wäre schon Mist gewesen, wenn ich die nächsten acht Tage ohne Sohle laufen müsste!

Ich beeile mich um möglichst gegen 16:00 Uhr bei der Hütte zu sein, damit ich nicht auch noch nass werde. Die ganze Zeit bläst mir der Wind stürmisch entgegen, dass ist wohl der Grund warum ein schneeweißes Rentier mich erst im letzten Augenblick bemerkt. Mir geht es allerdings genauso, daher wird es wieder nichts mit einem Portraitfoto.

Ich schaffe die 8 km tatsächlich in zwei Stunden und bin kurz nach vier an der Nothütte. Schnell Wasser am nahegelegenen Wasserfall holen, für den Ofen brauche ich kleines Anmachholz, dann wird es in der kleinen Hütte schnell (sehr!) warm. Der Wind wird stürmischer und pünktlich um 17:00 Uhr fängt es plötzlich an zu regnen. Schön dass ich gemütlich hier in der Schutzhütte sitzen kann – und diesmal ist es ja tatsächlich ein Notfall, denn selbst meinem Hilleberg-Zelt traue ich diese Windböen nicht zu. Abgesehen davon könnte ich es beim Aufbau kaum bändigen.

Gegen 20:00 Uhr klart der Himmel wieder auf, wenn das alles war an Regen, brauche ich mir um die nächsten Flussquerungen keine Sorgen machen. Leider stürmt der Wind immer noch unvermindert heftig um das kleine Häuschen.

Fazit: trotz des zähen Starts heute Morgen war es ein schöner und abenteuerlicher Tag mit vielen unvergesslichen Eindrücken. Trotzdem: wenn das Alien mit dem Portal kommt…