8,16 km – 03:40 h

Wie soll ich den heutigen Tag beschreiben? Fotos gibt es fast keine also versuche ich euch auf eine Gedankenreise oder Phantasiereise mitzunehmen. Am besten die Augen schließen und vorlesen lassen:

Ich liege gemütlich in meinem warmen Schlafsack, ein kräftiger Wind rüttelt an meinem Zelt aber ich fühle mich sicher und geborgen. Es ist noch sehr früh und ich genieße die Wärme während ich dem stetigen Rauschen des Regens auf dem Zeltdach lausche. Als ich an den Innenzelthimmel schaue fällt mir auf, dass überall Tropfen hängen und ärgere mich, dass ich die ganze nasse Kleidung gestern Abend nicht in die Apside gelegt habe. Schlagartig verschwindet das wohlige Gefühl von Geborgenheit, als mit bewusst wird, dass ich gleich in sehr nasse, sehr kalte Klamotten steigen muss. Trocken geworden ist leider überhaupt nichts und so beuge ich mich dem Unvermeidlichen. Ich raffe mich auf, ziehe das kalte, klamme Shirt an, dann die nassen Socken und die ebenfalls klamme Hose. An die quietschnassen Schuhe mag ich garnicht denken. Das kalte Gefühl der nassen Kleidung auf der Haut verschwindet nicht sondern lässt mich erschauern und ich beginne zu frieren. Den ebenfalls klammen Schlafsack stopfe ich in den Rucksack, packe alles zusammen und als nur noch das Zelt steht überlege ich mir doch nicht alleine loszulaufen sondern zu warten, bis es draußen etwas heller regnet.

Nach ein paar kurzen Abstimmungen per WhatsApp mit dem Nachbarzelt wollen wir um 08:30 aufbrechen. Jetzt sitze ich hier in den nassen Klamotten im Zelt und friere? Nein, ich packe den Schlafsack wieder aus, decke mich so wie ich bin einigermaßen zu und langsam wird mir wieder warm. Kurz nach 08:00 Uhr gibt es den Startschuss und wir beginnen die Tour bei dunkel verhangenem Himmel, Wolkenschleier liegen zwischen den Bergkuppen und wohin ich auch schaue fließt Wasser die Hänge hinab.

Nach den ersten Kilometern werden die Füße in den nassen Wanderschuhen langsam warm und auch an die klammen Kleider kann man sich gewöhnen. Aber der Weg ist beschwerlich, egal ob hinauf oder runter, ein ständiges Springen über Wasserlachen, Ausweichen von Sumpfflächen und es kostet Kraft die schweren, vollgesogenen Schuhe bei jedem Schritt wieder und wieder aus der Umklammerung des Sumpfes zu ziehen. Ich hänge meinen Gedanken nach, als uns plötzlich ein Fluss am Weitergehen hindert. Ein breiter Strom, hüfttief und mit beachtlicher Strömung. Ratlos schauen wir uns an, erkunden die Möglichkeiten flussauf- und flussabwärts, können aber keine Stelle entdecken, die uns eine Querung erlaubt. Letztendlich heißt es den Mut zusammen nehmen und an einer möglichst breiten und seichten Stelle den Fluss zu furten. Im kalten Regen ziehe ich Regenhose, Gamaschen, Schuhe und Socken aus und wage den ersten Schritt in das eiskalte Wasser. Vorsichtig, immer nach Halt tastend bewege ich mich gegen die Strömung auf das andere Ufer zu. Adrenalin schiesst ins Blut und es ist ein fast euphorisches Gefühl dieses Hindernis überwunden zu haben. Simone und Stefan folgen mir nach und auch jetzt gelingt die Querung ohne Komplikationen. Wir freuen uns gemeinsam den Mut aufgebracht zu haben und ziehen die Kleidungsstücke, Schuhe und Regenschutz wieder an.

Leider erwartet uns etwa einhundert Meter weiter der nächste breite Fluss. Durch den stetigen Regen der letzten Nacht sind alle kleinen Bäche, die normalerweise mit einem großen Schritt überwunden werden können zu echten Flüssen angeschwollen. Diesmal ist es echte Wut und Ärger die mich antreiben. Ich breche ohne Rücksicht durch das Ufergebüsch und suche verbissen eine mögliche Stelle zum Queren. Diesmal ist mir auch egal, ob die nassen Schuhe und Hosen noch nasser werden. In voller Montur mache ich einen großen Schritt in das Wasser, stemme mich gegen die Strömung und erreiche wieder das andere Ufer. Simone hat leider nicht soviel Glück und verliert das Gleichgewicht, fällt mitten im Fluss auf die Knie, fängt sich aber wieder und gelangt zwar nass aber unverletzt ans andere Ufer. Glücklicherweise war grade hier der Fluss etwas seichter.

Über den ganzen Morgen müssen wir uns sechs oder sieben mal durch Flüsse kämpfen, unzählige Bäche überspringen und ständig den Sumpfflächen ausweichen. Aber unser Pausenziel, die Skjækerhytta kommt näher und auch die letzten Kilometer können wir überwinden. Schnell sind wir uns einig, dass wir heute nicht wieder losgehen, sondern den Rest des Tages auf der Hütte verbringen um Ausrüstung, Kleidung und Schuhe so gut wie möglich trocknen und den Proviantraum zu leeren.

Laut Wetterprognose soll es morgen recht gutes Wetter geben und in der kommenden Nacht nicht wieder regnen. Das Wasser hat also Zeit abzulaufen und wir hoffen, dass die Wasserstände deutlich sinken, denn auch auf der nächsten Etappe stehen uns einige Flussquerungen bevor.

Wir genießen Rentier-Kjøttbuller mit Reis, Pfannkuchen mit Früchtecocktail und jede Menge Kekse und Schokolade.

Fazit: die erste wirklich schwierige Flussquerung war eine wichtige Erfahrung und hat mir gezeigt, wo meine Grenzen sind. Aber ich bin mir sicher: alleine würde ich immer noch vor dem ersten Fluss sitzen und mit meinem Schicksal hadern.