25,39 km – 07:43 h

Ich bin in einem Paralleluniversum aufgewacht!! Das Hostel, das Zimmer, das Bett – alles sieht aus wie gestern, meine Ausrüstung ist vollständig, aber irgendetwas geht hier vor…

Als ich das Fensterrollo öffne weiß ich schlagartig Bescheid: der Himmel ist ein anderer! Nicht eine Spur des gewohnten Blaus, nein, mausgrau, tiefhängende Wolken bis ins Tal und es regnet!! Ein Blick auf die Wetterprognose zeigt mir, dass es eine gute Idee ist mit dem Aufbruch bis um halb acht zu warten, angeblich soll es dann aufhören zu regnen. Zeit genug habe ich, also drehe ich mich nochmal um, frühstücke in Ruhe und packe langsam zusammen. Nach dem netten Abend mit Simone und Stefan hält sich meine Motivation heute arg in Grenzen, und das Wetter trägt nun wahrhaftig nicht zu einer Besserung bei.

Wie angekündigt wird es aber mit dem Regen weniger und ich mache mich auf den Weg, nicht ohne gleich die Regenjacke, Regenhose und Rucksackschutz überzuziehen. Es dauert ungefähr 15 Minuten, dann bin ich wieder bis auf die Haut nass – nein, kein Regenwasser sondern Schwitzwasser. Jede Dampfdiffusion stößt eben an ihre physikalische Grenze, wenn sich die Umgebungsluft nur geringfügig vom Regenjackeninnenklima (das Wort sollte in den Duden aufgenommen werden!) unterscheidet. Da können die Hersteller noch so tolle Membranen erfinden. Ausziehen oder anlassen? Da ist sie wieder, die Gewissensfrage.

Über den Wolken

Da ich die nächsten drei Stunden stetig bergauf laufen muss um aus dem Tal rauszukommen, müssen die Klamotten runter. Der feine Nieselregen ist das kleinere Übel. Ich weiß nicht so recht was los ist, aber jeder Schritt fällt mir heute unglaublich schwer. Dabei konnte ich mich doch wirklich ausruhen…!? Füße und Beine fühlen sich an wie Blei und schon nach den ersten Kilometern drückt der Rucksack wieder auf die linke Schulter. Am Gewicht kann es nicht liegen, ich habe nur für fünf Tage Proviant dabei. Ich muss alle paar Meter die Einstellung der Gewichtslagerung ändern, trotzdem wird es nicht besser. Ob es wirklich nur das Wetter ist, das so auf die Stimmung drückt? Mit Regen habe ich ja gerechnet und bisher ist es ja nichtmal richtig schlimm…!

Bullerbü in Norwegen

Ich setze einen Fuß vor den anderen und versuche mich über den gestrigen Tag und die guten Nachrichten von Nina und Berndt zu freuen. Das hilft ein wenig, aber schnell schweifen meine Gedanken ab zu Pe, Jarek, den beiden Hunden, unser Zuhause… etwa ein Anfall von Heimweh? Gestern habe ich nicht mehr telefonieren können also hole ich das jetzt beim Laufen nach und rufe Pe an. Nur ein kurzes Telefonat um die Stimme zu hören – das hilft ein wenig. Und Pausen machen! Wenigstens für fünf Minuten den Rucksack absetzen und die Schultern lockern.

Blick in die Rondane
Hmm….??

Ich laufe heute übrigens tatsächlich auf dem Peer Gynt Vegen, breiter Weg, kaum Autos und einfach zu laufen. Auf Bergtrails habe ich heute auch keine Spur von Lust! Ich freue mich auf eine richtig ausgedehnte Mittagspause auf der Sulseter Fjellstugu, werde aber leider enttäuscht! Die bewirtschaftete Hütte ist noch geschlossen. Wieder ein Motivationskiller. Für längere Pausen am Wegrand ist es zu nass und zu kalt, also gibt es nur ein paar Nüsse und Müsliriegel. Ich schaue mir meine Strecke nochmal auf dem Navi an und denke kurz darüber nach nicht nach 21 Kilometern das Zelt aufzuschlagen, sondern bis zur Eldåbu-Hütte zu laufen. Als ich die sehe, dass das zusätzliche 12 Kilometer bedeutet wird der Plan aber schnell verworfen! Eine Strecke von 33 Kilometer werde ich heute nicht schaffen.

Die Schafe laufen frei herum und die Pausenplätze werden eingezäunt…

Wieder unten im Tal angekommen suche ich mir am Ufer der Frya einen flachen, offenen Platz und hoffe, dass genügend Wind aufkommt um Kondensat und Mücken in den Griff zu bekommen.

Der Regen lässt nach und sobald das Zelt steht nutze ich die Gelegenheit um schon mal das Essen zu kochen. Als Seelentröster wird es dann heute Abend MINDESTENS eine ganze halbe Tafel Schokolade geben! Allein schon um das Gewicht weiter zu reduzieren.

Jetzt liege ich im Zelt, schreibe meinen Bericht, den ihr erst morgen lesen könnt weil ich zum ersten Mal absolut gar kein Netzempfang habe. Also auch keine Telefonate heute. Das die Sonne es nun doch nochmal durch die Wolken schafft ist auch kein Trost – jetzt wird es im Zelt zu warm und die Mücken kommen wieder raus.

Fazit: die Selbstmotivation wird noch ein großes Thema und keine leichte Übung für mich werden.