21,92 km – 05:48 h

Heute soll sie also beginnen. Die letzte finale Etappe von Olderfjord bis zu meinem Ziel dem Knivskjellodden. Merkwürdigerweise bin ich richtig aufgeregt und voller Euphorie. Den Grund dafür kann ich mir nicht erklären. Die Nacht war unruhig und ich habe wenig geschlafen, alles drängt mich vorwärts. Als ich um 3:30 Uhr wach werde, zwinge ich mich liegen zu bleiben. Um 6:00 Uhr halte ich es nicht mehr aus und ziehe mit meinem Frühstück in den Gemeinschaftsraum. Ich habe gestern im Supermarkt noch Brot, Marmelade, einen Apfel und einen großen Becher Joghurt gekauft. Es soll ein gemütliches Frühstück werden, bevor es ab morgen wieder nur Müsli gibt. Durch die großen Fenster schaue ich zu, wie die ersten Busse an- und abfahren – nicht mehr lange dann sitze auch ich in solch einem Bus. Nach dem Frühstück packe ich langsam meine sieben Sachen zusammen und fege die Hütte aus. Den Schlüssel kann ich erst ab 8:00 Uhr abgeben, also lege ich mich noch einmal aufs Bett und lese ein paar Seiten. Pünktlich um 8:00 Uhr bringe ich den Schlüssel zur Rezeption und checke aus. Dann mache ich mich auf den Weg .

Den ersten Teil des Tages, ungefähr 7 km, laufe ich die Straße entlang . Der Verkehr hält sich in Grenzen und die Fahrer scheinen heute alle eine Portion Rücksicht gefrühstückt zu haben. Selbst die LKWs machen einen großen Bogen und grüßen freundlich. Der Himmel ist wolkenlos blau, die Sonne scheint, es ist trocken und die Luft klar und kalt. Der perfekte Tag zum wandern. Ich nehme das mal als Wiedergutmachung für das Sumpfschwimmen der letzten Etappe. Gerne darf es genauso die nächsten fünf Tage bleiben.

Nach anderthalb Stunden verlasse ich die Straße und folge nun dem E1 beziehungsweise dem DNT-Trail. Breite Wege, gut und trocken zu laufen – trotzdem habe ich das Gefühl Blei in den Beinen zu haben. Beine und Füße tun mir weh, die linke Schulter schmerzt, und der Rucksack scheint mich ständig nach hinten zu ziehen. So euphorisch ich noch vor 4 Stunden war, so niedergeschlagen bin ich jetzt. Mein Kopf und mein Körper scheinen bereits in den „nach Hause Modus“ geschaltet zu haben. Immer wieder mache ich kurze Pausen und setze den Rucksack ab. Der Gedanke, dass es heute nur eine kurze Strecke ist, gibt mir die Kraft weiter zu laufen.

Ich konzentriere mich bewusst auf die herrliche, herbstliche und bunte Landschaft, auf den blauen Himmel und die tief stehende Sonne. Immer wieder stoße ich auf Rentierherden, oft mit 50, 60 oder mehr Tieren. Jetzt im Herbst sammeln sich die „Familienverbände“ und ziehen zurück in den südlichen Teil.

Irgendwie geht es dann doch recht schnell und bereits um kurz nach 14:00 Uhr erreiche ich die Stohpojohka. Eine offene, „private“ Hütte die weder vom DNT noch von Statskog betrieben wird. So richtig gemütlich ist es auch nicht. Alles wirkt ein wenig zusammengesucht und lieblos. Immerhin gibt es einen Ofen und Holz, so dass es schnell warm wird. Mit einem Becher süßem Kaffee setze ich mich raus in die Sonne, telefoniere kurz mit Pe und hänge meinen Gedanken nach.

Heute Nacht werde ich wieder auf Polarlicht-Jagd gehen. vielleicht habe ich ja Glück. – und grade in diesem Moment, in dem ich den letzten Satz schreibe setzt draußen der Regen ein…

Fazit: der Plan, meine Reise durch Norwegen in den letzten Tagen langsam auslaufen zu lassen (im wahrsten Sinne des Wortes) hört sich doch eigentlich recht gut an. Warum fühlt es sich dann nicht auch so an? Es kommt mir vor, als zögere ich das unvermeidliche Ende unnötig hinaus. Mit dem Kopf bin ich schon längst an meinem Ziel angekommen. Auch die Schönheiten im herbstlichen Fjell kann ich nicht mehr so richtig genießen. Nach und nach bekomme ich die Nachrichten der anderen NPL-Läufer, dass sie das Ziel erreicht haben oder bereits auf dem Rückweg sind. Auch das trägt nicht besonders zur Motivation bei. Mir ist immer noch nicht klar, was mich am Ende meiner Wanderung erwartet. Das große, überwältigende Gefühl, eine unglaubliche Leistung vollbracht zu haben oder einfach die nüchterne Tatsache: ja, jetzt bist du da.

Ich weiß, dass dieses Abenteuer in wenigen Tagen zu Ende geht und freue mich darauf zurück zu kehren. Ich bin aber andererseits überhaupt noch nicht bereit, wieder in den „normalen“ Alltag einzusteigen. Glücklicherweise habe ich noch gute fünf Wochen Zeit, mich darauf wieder einzustellen.