26,09 km – 08:04 h

In der letzten Nacht habe ich wieder extrem schlecht geschlafen… warum? Keine Ahnung. Mir geht grade viel im Kopf herum. Das Ende der Wanderung, die Rückreise, das Wiedersehen… trotzdem versuche ich diese Gedanken beiseite zu schieben. Ich will mich in den letzten Tagen voll und ganz auf das Laufen und die Natur konzentrieren. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ich mir den Wecker gestellt habe, um heute Nacht noch einmal auf Polarlicht-Jagd zu gehen. Und tatsächlich habe ich heute Nacht ein kleines bisschen Glück. Das ist noch nicht die ganz große Lightshow, aber immerhin ein erstes schönes Foto.

Ich hoffe, das war noch nicht alles.

Nachdem es gestern Abend ja schon recht windig war, weht auch heute Morgen ein kräftiger Wind, trotzdem habe ich erstaunlich viel Kondenswasser im Zelt. Den Grund dafür sehe ich, als ich das Zelt öffne. Draußen ist alles grau in grau und der Nebel liegt tief über der Ebene. Kein Wunder, dass alles feucht und klamm ist. Obwohl es schon kurz nach sechs ist, ist es draußen noch recht düster, trotzdem baue ich mein Lager ab und um 6:45 Uhr bin ich unterwegs.

Auch heute bin ich überwältigt von der unfassbaren Weite dieser Landschaft. Im Laufe des Vormittag klart es immer weiter auf, die graue Wolkendecke reißt auf und die Sonne schickt erste Strahlen zu mir runter. Sollte mein Snickers Opfer tatsächlich etwas bewirkt haben? Ich wandere über gut begehbare Flächen mit niedrigen Flechten, Sträuchern und Moos, versuche, den nassen und sumpfigen Stellen möglichst auszuweichen und balancieren über die Geröllfelder, die ich nicht umgehen kann.

Um 10:00 Uhr erreiche ich den See Suoikkátjavri. An seinem Südende schließt sich der kleinere Gálggojavri an und laut Wegbeschreibung soll es zwischen diesen beiden Seen Netzempfang geben. Und tatsächlich, als ich den Flugzeugmodus ausschalte, habe ich hier, mitten in der Einöde des Nábár-Plateaus, eine stabile LTE- Verbindung. Ich lege also eine kurze Pause ein, um Pe ein Lebenszeichen zu senden. Zu Hause haben sich meine Lieben schon Sorgen gemacht, weil meine letzten Standortmeldungen nicht übermittelt wurden, als ich in der tiefen Schlucht bei der Nedrevosshytta übernachtet habe. Dort scheint es auch mit dem Satelliten Empfang nicht zu klappen. Gut, dass alle einen kühlen Kopf bewahrt haben und nicht gleich ein Rettungsteam losgeschickt wurde. Am nächsten Morgen ist mein Trekkingpunkt dann ja auch weiter gewandert. Das ist eben der Nachteil, wenn man regelmäßige Statusmeldungen verabredet, die Technik aber nicht mitspielt.

Während des Telefonates ziehen hinter meinem Rücken schwarze Wolken am Horizont herauf. Erst als ich die ersten großen Tropfen abbekommen, werde ich auf die Regenwolken aufmerksam. Gerne hätte ich noch weiter telefoniert, muss aber abbrechen, um mich vor dem Regen zu schützen. Ich ziehe also in aller Eile meine Regensachen über und laufe mit schnellem Schritt weiter, in der Annahme, dass gleich die Sintflut über mich herein bricht. Da aber nach 10 Minuten immer noch nichts passiert ist, schaue ich mich um und sehe, dass die dunklen Wolken bereits östlich vorbeigezogen sind. Wieder einmal hat es der Wettergott gut mit mir gemeint.

Ich laufe so gut es geht nach Nordosten, aber in der Ebene ist es nicht einfach den Kurs zu halten. Es fehlt an markanten Landmarken an denen ich mich orientieren kann. Also wandert mein Blick regelmäßig auf mein Navi und ich muss öfter meinen Kurs korrigieren. Grundsätzlich ist aber auch heute die Orientierung dank der Wegbeschreibung von Martin und dem Track von Tobi recht einfach.

Die Strecke über die Ebene bis zu dem langen See Badajavri scheint sich endlos dahin zu ziehen. In der immer gleichen Landschaft verliere ich das Gefühl dafür, wie weit ich schon gekommen bin. Gegen 13:30 Uhr erreiche ich den See, an dessen Südende es schöne Zeltmöglichkeiten geben soll. Mit der Suche nach einem geeigneten Campspot tue ich mich allerdings heute schwer. Der Untergrund ist entweder zu feucht, zu steinig oder nicht eben genug. Ich laufe fast eine Stunde zwischen den Flussarmen und kleinen Seen umher, bis ich endlich eine geeignete Stelle finde.

Da ich noch den halben Tag vor mir habe, möchte ich mein Zelt an einem Platz aufbauen, an dem ich mich auch wohl fühle. Von Max habe ich vorhin eine Nachricht bekommen, dass er schon ein gutes Stück vor mir ist und möglichst schnell Alta erreichen möchte. Ganz kurz denke ich darüber nach, ob ich nicht auch den Sonnenschein nutzen soll, um Strecke zu machen, schnell verwerfe ich den Gedanken aber wieder. Schließlich habe ich nicht jeden Tag die Gelegenheit das Nábár-Plateau bei Sonnenschein genießen zu können.

Der Wind hat kräftig zugenommen und macht es mir nicht einfach das Zelt aufzubauen. Obwohl ich versucht habe einen Platz zu finden der mir ein wenig Windschutz bietet, muss mein kleines zu Hause heute zeigen, was es kann.

Da der Wind nicht nur stark, sondern auch recht kalt weht, fällt es mir heute sehr schwer, in das eiskalte Wasser des Flusses zu steigen. Naja, wen stört es denn? Heute muss es dann eben auch mal ohne waschen gehen. Bei einem heißen Kaffee und einem Stück Schokolade liege ich mit meinem Schlafsack im Zelt, schaue in die weite, sonnenbeschienen Ebene und versuche das Gefühl der Freiheit in mir zu konservieren. Es ist schon erstaunlich, wie befriedigend es sein kann, einfach nur hier in der einsamen Landschaft zu sitzen und an nichts zu denken. Das „an nichts denken“ gelingt mir allerdings nicht besonders gut. Immer wieder kreisen meine Gedanken um die Heimreise und das Ende meiner Norge på langs-Reise. Aber ich will ja die letzten Wandertage genießen also rappel ich mich auf und werde jetzt Schweinefilet mit grünem Pfeffer zubereiten. Zum Nachtisch gibt es heute keine Schokolade, sondern zur Feier des Tages Mousse au Chocolat. Ich habe diese gefriergetrocknete Zeug langsam so satt… aber in Alta gibt es ja wieder frisches Obst und vielleicht sogar einen Salat!

Fazit: ja, ich will die letzten Tage noch möglichst intensiv erleben, aber es drängt mich auch vorwärts. Die Lust am Wandern lässt zusehends nach. Der Kopf ist immer öfter zu Hause als auf der Tour. Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen aber ich glaube das ist schon ein bisschen das Abschiednehmen von meiner Reise. Ich bin froh, dass ich nach meiner Rückkehr noch knappe vier Wochen Zeit habe um mich an das „ echte Leben“ zu Hause zu gewöhnen.