24,40 km – 07:33 h
Auf dem Nábár-Plateau: Der Himmel ist grau und düster, der Wind fegt mir in starken Böen heftig entgegen und treibt mir den Regen ins Gesicht. Immer wieder muss ich stehen bleiben, weil ich durch die regennasse Brille nichts mehr erkennen kann, dabei machen die tiefhängenden Wolken die Orientierung auch so schon schwierig genug. Genau so habe ich mir meine Tour durch das Nábár vorgestellt…
Aber es kommt alles ganz anders! Nichts entspricht meiner Vorstellung, bis auf den düsteren Himmel – und das ist ja nun keine Seltenheit morgens um 06:00 Uhr. Trotz der unruhigen Nacht – ich bin wirklich aufgeregt – stehe ich früh auf und räume mit Kopflampe und bei Kerzenschein meine sieben Sachen zusammen und mache mich leise aus dem Staub. Gestern sind noch vier Frauen angekommen, die Königin war aber nicht dabei.
Ich folge grob der Wegbeschreibung von Martin, gehe aber dem Imojohka aufwärts, bis ich in einem kleinen „Felskessel“ stehe, in den der Bach als Wasserfall hinab stürzt. Linker Hand versperren schroffe Felswände den Weg, also halte ich mich rechts vom Wasserlauf und steige den Hang des Imovárri hinauf. Ich bewege mich deutlich weiter östlich als in der Wegbeschreibung von Martin empfohlen und laufe auch auf der „falschen“ Seite des Imojohka-Flusstals, hoffe aber darauf, dass ich oberhalb der Baumgrenze auf dem Plateau wieder westwärts abbiegen kann. Der Aufstieg klappt auf diesem Weg ganz hervorragend. Ja, steil ist es ab und zu, aber ich kann oftmals auf Wildwechseln durch den lichten Birkenwald und die ebenen, nur mit niedrigem Gestrüpp bewachsenen Flächen laufen. Wenn man etwas aufmerksamer auf den Weg achtet und nicht ins Träumen kommt muss man auch nicht so einen großen Bogen Westen nach schlagen um wieder den Duorsi zu umrunden. Ich bin ein wenig weit nach Osten abgedriftet.
Nur begleitet von ein paar misstrauischen Rentieren laufe ich ich durch eine unvorstellbar weite Landschaft. Es regnet nicht, im Gegenteil, die Wolken lockern auf und es gibt sogar Sonnenschein und der Wind hält sich auch in Grenzen. Worum habe ich mir eigentlich Gedanken gemacht?
Das Gefühl zu beschreiben, die Weite und die Herbstfarben bei Sonne erleben zu dürfen, ist wohl vergebliche Liebesmüh. Leider geben auch die Fotos wieder einmal nur Bruchteile von dem wieder, was ich hier sehen darf.
Bis in das Njárgaluoppal-Tal hinein ist der Weg einfach, dann beginnt, wie Martin ja auch beschreibt, der anstrengende Teil über Geröllfelder. Diese Strecke zieht sich, von einigen einfacheren Abschnitten unterbrochen, eigentlich bis zum Berg Mollejus. Selbst den Aufstieg und besonders den Abstieg zum See habe ich als recht anstrengend empfunden – aber echte Schwierigkeiten gibt es in dem Gelände nicht. Das mag bei regennassen Steinen und schlechter Sicht aber auch anders aussehen.
Rentierzäune musste ich nicht zweimal, sondern insgesamt fünf mal überwinden. Die Sami bereiten wohl die Herbst-Zusammentriebe vor und haben weitere Flächen abgetrennt. Weiter westlich wäre es wohl einfacher gewesen, dafür hätte ich aber noch gut einen Kilometer Geröllfelder durchlaufen müssen.
Als Frühstarter habe ich den Gipfel des Mollwjus schon kurz nach halb zwei erreicht und kann von oben den See Mollejusgobejávri sehen. Da der Wind spürbar kräftiger geworden ist, laufe ich aber nicht bis an das Westufer, wo es gute Campspots direkt am Wasser geben soll – auch wenn ein frisches Bad verlockend ist…
Ich finde beim Abstieg vom Berg auf halber Strecke an der Nordflanke eine kleine, natürliche Terrassenfläche an einem Geländeabsatz. Dort kann ich mein Zelt im Windschatten aufstellen – damit fühle ich mich wohler als unten am See auf kilometerweit freier Fläche.
Die Nábár-Querung war seit Beginn der Wanderung und besonders in den letzten Tagen immer wieder Gesprächs- und Gedankenthema. Daher ist der Bericht vielleicht etwas „technisch“ geraten. Die Eindrücke dieser Landschaft wiederzugeben ist aber auch ein Ding der Unmöglichkeit. Der norwegische Wettergott hat es an meinem ersten Nábár-Tag jedenfalls gut mit mir gemeint. Wenn jetzt heute Nacht der Wind nicht zu kräftig wird und es morgen vielleicht wenigsten trocken bleibt wäre ich sogar bereit ihm ein Snickers zu opfern!
Fazit: Viel Lärm um nichts!? – Nein, so kann man das nicht sagen. Ich durfte das Nábár-Plateau heute von seiner besten Seite erleben. Mir hat das zum Einstieg viele Befürchtungen genommen, die sich durch die ganzen Diskussionen über die Wetterthematik aufgebaut hatten. Ja, der Aufstieg und die Geröllfelder haben es in sich und machen bei Regen und Nebel sicher keinen Spaß – das macht das Blåfjell bei schlechtem Wetter aber auch nicht. Ich will nichts verniedlichen, aber ich freue mich auf den zweiten Abschnitt – auch wenn es regnen sollte…
Jetzt genieße ich die fantastischen Ausblicke über den See und versuche Kontakt mit den recht neugierigen Rentieren aufzunehmen, die um mein Zelt streifen. Der Wind rauscht um mich herum, aber mehr als ein wenig Bewegung in den Zeltwänden bekomme ich davon nicht mit. Ich habe nicht den Eindruck, dass das Zelt heute an die Belastungsgrenze kommt – im Gegenteil, da ist noch ordentlich Luft nach oben. Ich fühle mich geborgen und wie „zu Hause“, auch wenn mich nur zwei dünne Lagen Stoff vom kalten Wind trennen. Heute kann ich das Alleinsein wieder so richtig genießen, die endlose Weite, nur ein paar Rentiere… diese Gefühl werde ich wahrscheinlich am meisten vermissen, wenn ich wieder zurück bin.