30,62 km – 09:06 h
Um 07:00 finnischer Zeitrechnung stehe ich auf der Straße und lasse die kleine Hütte hinter mir. Wieder wiegt der Rucksack gefühlte 35 kg und wieder fehlt es ein wenig an Motivation. Das Thermometer an der Hütte zeigt drei Grad, und das fühle ich auch. Dazu gibt es heute eine P(B)riese kräftigen Wind, der die Temperatur noch sinken lässt. Aber es ist trocken und ich kann ein wenig blauen Himmel sehen.
Müde bin ich heute, weil ich letzte Nacht auf Nordlicht-Jagd war. Laut Vorhersage gab es eine 30%ige Chance und da der Himmel recht klar war habe ich mir den Wecker gestellt um ab und zu nachsehen zu können. War aber leider nix.
Es ist vielleicht nur blöde Einbildung, aber die finnische Landschaft fühlt sich anders an. Die Stimmung ist irgendwie anders. Oder es liegt an der Sonne, die trotz des späten Vormittages sehr tief steht und lange Schatten wirft. Eher wie ein Sonnenuntergang als ein Sonnenaufgang.
Auf der weiten Ebene pfeift mir der Wind ganz schön um die Ohren. Vielleicht als kleine Einstimmung auf die Nábárebene? Es kommen mir auch recht viele Wanderer entgegen, alle dick vermummt mit Mützen und Handschuhen. Ich bin immer noch am schwitzen unter der Regenjacke. Begleitet werde ich wieder von fast zahmen Rentieren. Hier wird deutlich, dass die Tiere, wie bei uns die Rinder, als Nutzvieh gehalten werden – nimmt einem ein wenig die romantische Vorstellung der wilden Rentierherden.
Der Kalottireitti führt mich, gut markiert, durch die herbstgefärbte Landschaft und ich erreiche nach dreieinhalb Stunden und knapp 13 km die erste finnische Hütte. Hier kann ich windgeschützt eine schöne Pause einlegen und meinen Rucksack wenigstens ein bisschen leichter essen. Die Saarijärvi ist nagelneu aber sehr einfach ausgestattet – dafür kostenlos.
Anders als in Norwegen gibt es eine offene Hütte, die für jeden zugänglich ist und weitere Gebäude die vorher gebucht und bezahlt werden müssen. So jedenfalls habe ich einen Finnen verstanden, den ich dort angetroffen habe. Die Ausstattung ist rudimentär, selbst Geschirr und Besteck gibt es nicht. Holzofen, Holz, Zweiflammen-Kocher und ein paar Töpfe, das ist alles. Ich gebe mir eine halbe Stunde, dann geht es wieder hinaus in den Wind.
Völlig hingerissen von der unendlichen Weite lasse ich einen Kilometer nach dem anderen hinter mir und bin selber erstaunt wie gut es heute läuft. Trotz des schweren Rucksacks und der wenigen Stunden Schlaf komme ich gut voran und erreiche um halb zwei die nächste Hütte. Nach meiner alten Planung wäre hier für heute Schluss, aber ich will die Strecke bis zur Somahytta ja in zwei Tagen schaffen statt in drei. Also gibt es auch hier nur eine kurze Pause. Ich nehme einen Apfel und ein Snickers aus meinem Rucksack und betrete die Kuonjarjoki autiotupa (diese finnischen Namen sind echte Zungenbrecher). Im Gegensatz zur ersten Hütte ist es hier recht voll. An einem Tisch sitzt eine finnische Großfamilie und erholt sich vom Wind, an dem anderen Tisch sitzen drei Männer, die sich ihr Mittagessen (Bratkartoffeln mit Zwiebeln, Speck und Würsten) zubereiten. Ich setzte mich mit meinem Apfel dazwischen auf ein Bettgestell und werde sofort gefragt woher ich komme und wohin ich gehe. Als ich beginne meine Geschichte zu erzählen hört plötzlich der ganze Raum zu und ich versuche alle Fragen zu beantworten. Norge på langs ist auch in Finnland ein Begriff, scheint aber für die Leute etwas Besonderes zu sein.
Nach einer knappen halben Stunde geht es dann weiter. Noch sechs Kilometer, dann habe ich mein rechnerisches Tagessoll erfüllt, aber ich ich laufe sogar noch weiter bis kurz vor die Meekonjärvi-Hütte. Hier finde ich einen schönen Platz und kann den Zeltaufbau bei Starkwind nochmal proben. Laut Wetterprognose bläst der Wind heute mit 25-35 km/h, in Böen bis 50. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass ich mir um das Zelt Sorgen machen muss. Ich verkrieche mich schnell in den Schlafsack und ruhe mich eine Stunde aus, bevor ich mit dem „Kochen“ für das Abendessen beginne. Mit Daunenjacke und Merinohose wird es schnell kuschelig warm. Ich muss mich nun ernsthaft daran gewöhnen, dass die warmen Tage vorbei sind. Eine Wanderin, die ich unterwegs getroffen habe sprach sogar schon vom ersten Schnee – ich habe allerdings nicht verstanden, wo sie her kam.
Fazit: ein sonniger, sehr windiger und kalter Wandertag geht zu ende. So unbeschwert bin ich schon seit Tagen nicht mehr durch die wunderschöne Landschaft gelaufen und ich habe versucht die Eindrücke weniger mit dem Handy, sondern mehr mir den Gedächtnis festzuhalten. Jeden der kommenden Tage möchte ich ganz bewusst erleben – hoffentlich spielt das Wetter im Nábár mit…