35,89 km – 09:36 h

Es ist schon einige Tage her, dass ich bei Regen meine Sachen einpacken muss. Dazu ist es wieder recht kalt und nach ein paar Minuten spüre ich meine Finger kaum noch. Es ist nicht einfach, die ganzen Schnallen und Verschlüsse an Beuteln und am Rucksack mit gefühllosen Fingern zu öffnen und zu schließen. Kurz nachdem ich los laufe, hört es auf zu regnen, dafür wird es zunehmend windiger. Laut Wetterprognose soll es zwar windig werden die nächsten Tage, aber eigentlich erst übermorgen. Sei’s drum, wenn der Wind die Wolken vertreibt, soll es mir recht sein.

der einzige Hinweis auf den E1

Ich folge weiter den roten Markierungen auf dem E1 Trail. Diese sind recht spärlich und oft kaum sichtbar. Immer wieder verliere ich den Weg und suche mir per GPS Navigation den für mich besten Weg. Auch heute darf ich weiter das Sumpf-Laufen genießen und obwohl meine Schuhe von gestern noch völlig durchnässt sind, habe ich heute Früh ein paar trockene Socken angezogen. Trocken sind diese zwar nur ein paar Schritte, aber der Einstieg ist etwas angenehmer. Ich habe mich entschlossen, die gut 35 km bis nach Olderfjord in Angriff zu nehmen. Die Aussicht auf eine heiße Dusche, eine warme Hütte und ein kaltes Bier – vielleicht sogar Burger oder Pizza, liefern genügend Motivation und Energie für die lange Strecke – und außerdem wartet ja mein letztes Paket auf mich!

Der Weg wird heute beschwerlicher, als ich gedacht habe. Neben sumpfigen Wiesenflächen geht es auch durch verkrüppelte Birkenwälder und und umgekippte Stämme versperren alle paar Meter den Weg, so dass ich ständig über Hindernisse klettern muss. Trotzdem versuche ich mich zu beeilen und komme auch recht gut voran. Pausen fallen heute aus, es gibt lediglich ein paar Riegel und ein paar Nüsse während des Laufens. Bei dem Wind macht es sowieso keinen Sinn, sich irgendwo länger hinzusetzen.

Mittlerweile ist es sonnig, und der Wind schiebt mich vor sich her. Ab und an bleibe ich stehen und werfe einen Blick in die Landschaft. Die weite, leere Ebene wird abgelöst von waldigen und bergigen Abschnitten. Immer wieder muss ich in Täler hinab und auf Bergrücken hinauf steigen.

Gegen 15:30 Uhr erreiche ich die E 69 und laufe die letzten 7 km die Straße entlang. Es herrscht deutlich mehr Verkehr, als ich gedacht habe, neben vielen LKWs auch immer noch große Wohnmobile die vom Nordkap kommen. Ich lege auf der Straße noch einmal einen Zahn zu und bald kommen die ersten Ortsschilder in Sicht. Zum ersten Mal auch der Hinweis auf mein Ziel!

In Olderfjord angekommen, führt mich mein Weg zuerst zum Turistsenter. Dort frage ich nach einer kleinen Hütte für zwei Nächte und will mein Paket in Empfang nehmen. Die Dame an der Rezeption schaut mich ein wenig verwirrt an und scheint offenbar von einem Paket nichts zu wissen. Auf mein Bitten schaut sie aber noch einmal genau nach, kommt aber mit leeren Händen zurück. Ich erkläre die Situation und auch, dass dieses Paket bereits seit Ende Mai hier aufbewahrt werden sollte. Mein Hinweis auf den Mailverkehr hilft leider auch nicht weiter. Überhaupt habe ich auf meine Mails bis auf die Erste vor Weihnachten letzten Jahres keine Antworten bekommen. Nun werde ich doch etwas unruhig. Ich solle doch 300 m zurücklaufen zum Matkroken (kleiner Supermarkt), dort sei auch Die Poststelle an der oft Pakete abgegeben werden. Also stelle ich mein Gepäck in der kleinen Hütte ab und marschiere wieder zurück zum Tankstellensupermarktpostfilialenapothekenbaumarkt. Auch dort bekomme ich nur überraschte Blicke. Pakete werden in der Regel nicht länger als zwei Wochen aufbewahrt, bevor sie zurück an den Absender gehen. Ich erkläre, dass beim Absender aber nichts angekommen ist, und das Paket auf jeden Fall geliefert sein muss. Die Frau am Postschalter klemmt sich ans Telefon und telefoniert mit dem Chef des Turistsenter, Heli Corhonen. Mit ihm habe ich auch den Mailverkehr geführt. Das Telefonat dauert etwas länger und ich habe schon fast die Hoffnung aufgegeben, da nickt mir die Dame freundlich zu und hält den Daumen hoch. „Der Chef findet alles“, sagt sie und lächelt mir zu. Das Paket ist tatsächlich wie gewünscht an die richtige Adresse geliefert worden, die Angestellten haben nur leider nichts davon gewusst. Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen und erleichtert mache ich ein paar kleine Einkäufe für heute Abend. Alles was ich für die nächsten Wandertage benötige, werde ich morgen in aller Ruhe besorgen. Dann laufe ich zurück zum Turistsenter, wo mich die Dame an der Rezeption schon mit 1000 Entschuldigungen erwartet und mir das unversehrte Paket überreicht.

Ich richte mich in meiner Hütte ein, dann gibt es eine sehr, sehr heiße Dusche und ich nutze die kostenlose Waschmaschine um alle Klamotten ein letztes Mal auf dieser Tour zu waschen. Dann mache ich es mir mit einem Bier gemütlich und schreibe ein paar Nachrichten an die NPL‘er. Ich bin überrascht als sich Max mit der Nachricht meldet, dass er ebenfalls hier in Olderfjord ist und seit heute Mittag im Hotel eingecheckt hat. Ich habe gedacht, dass er mir schon weit voraus ist, freue mich aber sehr über eine nette Gesellschaft am Abend.

Neben Max treffe ich auch auf ein junges, holländisches Pärchen. Die beiden sind mit ihrem Aussie Rüden Tico ebenfalls zum Nordkap unterwegs. Gestartet sind sie allerdings in den Niederlanden und für die letzten 600 km aufs Rad umgestiegen. Wir sitzen zu viert im Aufenthaltsraum des Hotels und unterhalten uns bis in den späten Abend.

Fazit: immer noch bin ich hin und hergerissen. Auf der einen Seite will ich die letzten Tage genießen, andererseits möchte ich nun endlich mein Ziel erreichen – auch vor dem Hintergrund, dass es zunehmend kälter und stürmischer wird. Über Instagram habe ich erfahren, dass Simone und Stefan ihr Ziel bereits erreicht haben. Auch Daina, Philipp und Max versuchen nun schnell das Nordkap zu erreichen. Immer wieder muss ich mir selber sagen, dass ich Zeit habe und mich nicht beeilen muss. Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl emotional so „zwischen den Stühlen zu hängen“.