15,75 km – 03:37 h

Tag 93

Nach einer etwas unruhigen und unbequemen Nacht auf der Klappcouch im Seminarraum der Tjoarvihytta stehe ich auf und mache mir so leise wie möglich mein Frühstück und Kaffee. Ich habe viel Zeit, da ich mich zwischen 10:00 und 11:00 Uhr im Sulitjelma Turistsenter angemeldet habe. Bis dahin sind es 15 Strassenkilometer, die ich bei einem langsamen Tempo in gut drei Stunden schaffen sollte. Also brauche ich vor 07:00 Uhr nicht aufbrechen. Ich freue mich über die gemütliche Hütte, lese ein wenig und lasse mir mit allem Zeit. Von Daina verabschiede ich mich (zum wievielten Mal jetzt…?), mit etwas Glück treffen wir uns vielleicht auf der Huskyfarm in Innset nochmal wieder. Nadja läuft später auch zum Campingplatz.

Der Weg dorthin ist unspektakulär, erst Schotter- dann Asphaltstraße. Ich erreiche mein Ziel exakt um halb elf. Wie in der Mail von Laila beschrieben, rufe ich auf dem Handy von Bjørn an… und bin erstmal geschockt! Auf Englisch erklärt er mir, dass das wohl ein Irrtum sei, der Platz ist geschlossen und es wäre Urlaub… Wie bitte?? Ich versuche das eben Gehörte noch zu sortieren, als Bjørn, herzlich über seinen Witz lachend, um die nächste Hausecke kommt. Nicht ! Witzig ! Trotzdem muss ich mitlachen. Bjørn ist grade auf dem Weg zum Supermarkt um Simone und Stefan abzuholen und bietet mir an, entweder jetzt gleich mitzufahren oder mir später sein Auto zu leihen. Wieder ein Beispiel für die unkomplizierte Hilfsbereitschaft der Norweger. Mir geht das aber ein wenig schnell, ich muss erst duschen und meinen Rucksack leer machen, also entscheide mich für die zweite Variante. So kann ich dann auch Nadja mitnehmen, die ebenfalls noch einkaufen muss.

Ich beziehe also eine der größeren Hütten. Den Preis finde ich etwas überzogen, aber gut, dafür habe ich Platz ohne Ende und ein eigenes Bad mit WC und Dusche. Außerdem waren die kleinen Hütten schon belegt. Während ich mich einrichte ist auch Nadja angekommen und wir verabreden uns um 13:00 Uhr für die Fahrt zum Supermarkt. Zuerst jedoch gibt es erstmal die Bescherung: mein Proviantpaket, die neuen Schuhe und die neue Isomatte! Etwas leid tut es mir ja schon, die alten Schuhe einfach in den Müll zu geben, letztlich war ich wirklich sehr zufrieden. Aber die Membran ist undicht, eine neue Besohlung wäre nötig und die ausgelatschten Treter stinken bestialisch nach Sumpfwasser und 1.800 km täglicher Nutzung… Das Zurückschicken und Aufarbeiten würde sich sicherlich nicht lohnen.

Als Bjørn mir den Autoschlüssel in die Hand drückt erwähnt er nebenbei, dass der Wagen einen Motorschaden hat, aber bis in die Stadt und zurück wird er es schon schaffen… äh, Moment mal, Motorschaden? Er bemerkt mein Zögern und setzt gleich nach: „Ich könnte auch mitkommen und meine Einkäufe erledigen.“ Ja, bessere Idee!

Ich nehme noch das Schuhpaket von Simone und Stefan mit zur Post, meine defekte Isomatte ist auch darin, so können wir Porto sparen. Die Aufgabe des Paketes am Postschalter dauert etwas länger und Bjørn wartet schon vor dem Supermarkt bevor wir überhaupt mit dem Einkauf beginnen. Ich hetzte also durch die Gänge und in der Eile verliere ich trotz Liste wieder mal den Überblick. Aber am morgigen Pausentag habe ich ja ausreichend Zeit zu essen.

Zurück am Platz spiele ich wieder Rucksacktetris und versuche alle Einkäufe für die Tour irgendwie unterzubringen. Was nicht reinpasst wird eben sofort gegessen – keine einfache Aufgabe!

Der nächste Programmpunkt ist das Wäschewaschen. Auch hier hilft Bjørn weiter und ich darf die Waschmaschine nutzen… für 100 NOK. Damit die Maschine auch voll wird wasche ich gemeinsam mit Nadja zusammen, so macht es mehr Sinn. Damit sind dann am Ankunftstag auch schon alle wichtigen Aufgaben erledigt und ich kann morgen den ganzen Tag entspannen, lesen, spazieren gehen (ok, Scherz) und mir die weiteren Etappen ansehen. Ich habe mal überschlagen, dass ungefähr noch 820 Kilometer vor mir liegen. Das sind grob 40 reine Lauftage. Dazu kommen noch die Pausentage – somit müsste ich tatsächlich Ende September mein Ziel erreichen – wenn alles gut geht.

Tag 94

Die Pausentage haben ja alle gemeinsam, dass nicht viel Berichtenswertes passiert. Ich verbringe die Zeit damit die gestrigen Einkäufe irgendwie zu vernichten, lese viel und versuche möglichst wenig nach draußen zu gehen. Den heutigen Tag habe ich perfekt abgepasst – seit heute morgen ist es immer wieder beständig am regnen, ab morgen dagegen soll die Wetterlage einigermaßen stabil und trocken bleiben. Unsere „Reisegruppe“ hat sich nun auseinander gezogen. Nadja ist heute morgen los um ihren Mann abzuholen, Simone und Stefan haben sich um halb zwölf verabschiedet. Nun heißt es also wieder Solowandern und irgendwie freue ich mich auch darauf – wobei die gemeinsamen Abende in den Hütten viel Spaß gemacht haben.

Pausentag-Frühstück

Ich sortiere meine Ausrüstung, reinige das Kochset und mache den Rucksack mal richtig sauber, schaue alles nochmal durch und überlege bei jedem Stück, ob ich es wirklich benötige. Letztlich bleibt aber alles beim alten. Mir graut vor morgen und ich möchte nicht wissen, wieviel Gewicht ich tragen werde. Ich muss auch nochmal im Supermarkt vorbei um eine neue Wasserflasche und Brotaufstrich zu besorgen. Von dort geht es dann steil bergauf und ich lasse mir offen wie weit ich laufe. Ziel ist die Sorjushütte.

Pausentag – Abendbrot

Fazit: Ich habe heute viel Zeit nachzudenken. Über das „wie lange noch“, das „warum“ und das „ist es das wert?“. Ich habe meine Familie und meine Freunde für ganze sechs Monate „verlassen“ um ein Abenteuer zu erleben, dass ich mir 2019 in den Kopf gesetzt habe. Und weit über die Hälfte meines Weges habe ich schon bewältigt. 94 Tage bin ich unterwegs und wenn ich nicht jeden Tag meine Berichte geschrieben hätte, wären viele Erinnerungen schon wieder verflogen. So beginne ich schon damit meine eigenen Einträge zu lesen und freue mich darüber, was ich alles erlebt habe. Ich bin selber sehr gespannt, was alles im Kopf geblieben ist, wenn ich tatsächlich am Ziel ankomme. Die vielen Eindrücke, die vielen Menschen, die ich kennengelernt oder auch nur im Vorbeilaufen kurz gegrüßt habe, die tausend Fotos, die doch nicht in der Lage sind das Erlebte zu dokumentieren… Vermutlich wird es gar keine besonders guten oder besonders schlechten Erinnerungen geben, sondern die Reise im Ganzen prägt (und verändert?) einen. – Nun, ich werde es ja erleben. Da bin ich mir tatsächlich langsam sicher: ich werde es bis zum Nordkap schaffen, wenn gesundheitlich nichts dazwischen kommt.