12,52 km – 04:42 h

Man schläft in einem festen Gebäude und wird früh morgens durch das Trommeln des Regens auf das Hausdach geweckt – das kann schon mal nichts Gutes bedeuten! Seit gestern Nachmittag hat es nicht aufgehört zu regnen und mein früher Start in die nächste Etappe fällt damit wohl ins Wasser. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ich im Regen loslaufe, aber der dauerhafte und recht starke Niederschlag muss ja irgendwo hin – und zwar in die Bäche und Flüsse, die ich heute queren werde. Das Wetter soll angeblich ab 11:00 Uhr besser werden, also wie war das gleich mit der Gelassenheit? Mich treibt ja niemand und nichts spricht dagegen erst um 09:00 oder 10:00 zu starten. Es gibt also gemütlich eine zweite und dritte Tasse Kaffee, ein bisschen lesen und den freien WLAN-Zugang nutzen. Auch Simone und Stefan werden später wach und schätzen die Wettersituation ähnlich ein. Das Problem werden heute die Flussquerungen sein und je später man startet, desto niedriger ist wieder der Wasserstand… vorausgesetzt es hört auf zu regnen. Das tut es nämlich immer noch, obwohl 11:00 Uhr schon durch ist!! Ich habe wirklich keine Ahnung, warum ich heute so dermaßen auf glühenden Kohlen sitze und würde entgegen jeder Vernunft am liebsten sofort losziehen. Dabei ist es nicht einmal ein Problem hier in der Stekvasselv Fjellgård noch eine weitere Nacht zu bleiben.

Wir sprechen mit Håkon und fragen, wann wir spätestens die Zimmer räumen müssen. Dabei lernen wir auch Kari kennen. Wir überlegen uns bis spätestens 15:00 Uhr abzuwarten, dann aber wieder zu dritt loszugehen, um eventuelle Flusshindernisse gegebenenfalls gemeinsam zu überwinden. Håkon schätzt die Situation als machbar ein und zeigt uns auf der Karten die beiden größten Flüsse, bei denen wir mit Schwierigkeiten rechnen müssen.

Der Regen hat mittlerweile seit etwa zwei Stunden aufgehört und wir beschließen dem Wasser noch etwas Zeit zu geben um abzufließen. Ein Trekking-Essen zum Mittag, etwas Schokolade, der Apfel und der Riegel von gestern verschwinden in der Wartezeit spurlos. Mein Proviantbeutel wird nun beunruhigend leicht, aber es sind ja nur noch zwei Tage bis ich in Umbukta bin. Vorsichtshalber kaufe ich Kari doch die drei Mahlzeiten ab, die wir gestern nicht gebraucht haben. Als wir dann endlich um kurz nach 14:00 Uhr aufbrechen scheint sogar die Sonnen wieder.

Erst geht es wieder die knapp drei Kilometer auf der Straße zurück zum Einstieg in die Nordlandruta, dann hinauf durch nasse Wiesen in den westlichen Teil des Artfjellet. Vorhin habe ich über den Regen geschimpft, jetzt wünsche ich mir wieder ein paar Wolken vor die Sonne. Ja, wir Fernwanderer sind nicht leicht zufrieden zu stellen. Als wir oben am Gipfel ankommen holt uns Holger ein, ein Norweger, der mit seinem Hund mal eben auf den Gipfel läuft… er hat nur einen kleinen Daypack dabei, lässt sich aber auf meinen Vorschlag, die Rucksäcke zu tauschen, nicht ein. Wir wechseln noch paar Worte zum weiteren Weg, dann läuft Holger in Richtung Gipfel und wir folgen dem Trail auf halber Höhe um den Berg herum. Nach einer Weile hören wir jemanden rufen und schauen verwundert zu, wie Holger auf der anderen Seite des Gipfels wieder bis zu uns herunter läuft. Er habe etwas vergessen, sagt er, und holt aus seinem Rucksäckchen ein paar Schokoriegel und eine Dose Bier heraus. „Ihr braucht das dringender als ich“, mit diesen Worten schenkt er uns sein „Gipfelbier“ und seine Snacks. Die Freundlichkeit und das Verständnis für NPL-Läufer, das uns hier entgegengebracht wird ist einfach immer wieder grandios. Echte Trail-Magic eben.

Wir kommen dann zum ersten größeren Fluss, den uns Håkon auf der Karte gezeigt hat und können ein paar Meter flussaufwärts furten ohne die Schuhe auszuziehen. Ich muss zwar zweimal kurz ins Wasser treten, aber die Füsse bleiben sogar trocken. Auch der zweite Fluss ist ohne Probleme zu queren. Da haben wir uns wohl zu viel Gedanken gemacht – oder eben genau lange genug mit dem Aufbruch gewartet!

Mein Plan war es heute eigentlich bis zur Gressvasshytta zu kommen, eine Strecke von ca. 21 km. Durch den späten Aufbruch müsste ich also bis 20:00/20:30 Uhr laufen. Das ist mir heute tatsächlich zu weit, zumal die Hütte grade renoviert und erweitert wird. Eine Übernachtung ist dort aktuell nicht möglich. Über Håkon haben wir durch den zuständigen Hüttenwart erfahren, dass mit einer Wiedereröffnung wohl nicht vor Ende dieses Monats zu rechnen ist. Die Website des DNT spricht noch vom 01. August, diese Info ist aber nicht mehr aktuell!!

Gegen 18:30 Uhr halte ich nach einem Zeltplatz Ausschau und schlage auf einer Anhöhe mit Blick auf das Okstindan-Gebirge mein Lager auf. Simone und Stefan wollen noch weiter laufen, also verabschieden wir uns voneinander und die beiden ziehen weiter. Spätestens in Umbukta treffen wir uns dann wohl wieder.

Fazit: ich denke noch lange über den Grund für meine heutige „Ungeduld“ nach, so richtig scheint das mit meiner neuen Gelassenheit wohl noch nicht zu funktionieren… Trotzdem war es genau das richtige Timing heute.