14,64 km – 05:59 h

So schön unser Zeltplatz gestern in der Abendsonne war, so ungemütlich und fast feindlich wirkt er, wenn kräftige Böen über den See peitschen, graue Wolken zwischen den Bergen hängen und es in Strömen regnet. Sofort ist auch die gestrige Euphorie verflogen.

Wie gestern besprochen wollen wir um 09:00 aufbrechen, in der Annahme, dass sich der Regen – wie vorhergesagt – bis dahin gelegt hat. Leider ist das ganz und gar nicht so und wieder beginnt ein Tag in Regenklamotten und klammen Kleidern. Es tut gut zu wissen, dass wir bis zu unserem Ziel nur ca. 15 km laufen müssen, allerdings wieder weglos und durch sehr sumpfiges Gebiet. Es ist garnicht mal so sehr der Regen, der mich runterzieht, sondern das ständige Laufen in völlig durchnässten Schuhen. Aber gut, ich glaube darüber habe ich schon einmal geschrieben, oder? Gehen wir als grundsätzlich mal davon aus, dass ich ab jetzt ständig und immer nasse Füße haben werde, dann muss ich das in meinen Berichten nicht dauernd wiederholen.

Unser Ziel ist heute also Gaundalen. Ein Ort, an dem fast alle NPL-Läufer vorbei kommen (wollen). Der Gaundalen Gård ist einer von drei alten, traditionellen Höfen, die von Viehwirtschaft leben. Das Besondere: Gaundalen ist nicht an irgendeine Art von Straßen- oder Wegenetz angeschlossen und mit Fahrzeugen nicht zu erreichen. Der damalige Hofbesitzer Steinar Gaundalen hat daher einen Flugzeughangar mit Start-/Landebahn gebaut. Steinar ist leider vor einigen Jahren überraschend verstorben und aktuell führen (hauptsächlich) seine zwei Schwestern, beide bereits Rentnerinnen und bestimmt schon über 70, den Hof weiter. Was mittelfristig mit dem Hof passiert weiß die Familie selber noch nicht. Besucht wird Gaundalen gerne von den Langstreckenwanderern und die Bewohner freuen sich über Abwechslung und neue Gesichter.

Dieses Ziel müssen wir aber erst einmal erreichen. Mit hochgeschlagener Kapuze geht es auf der Ostseite unserer Hochebene hinab. Durch die Feuchtigkeit sind die Felsen sehr rutschig und ich muss besonders bei abfallenden Strecken höllisch aufpassen um nicht auszurutschen. Der zähe Sumpf, das Unterholz und das ständige Gehen an schrägen Hängen tragen ihren Teil dazu bei die Etappe zu einem anstrengenden Stück Arbeit zu machen. Schnell bin ich wieder bis auf die Haut nass, Pausen halten wir wegen des anhaltend schlechten Wetters sehr kurz und nur der Gedanke an ein warmes Essen treibt einen vorwärts.

Wir bewegen uns übrigens im norwegischen Bärengebiet (Ja, Bären – nicht Beeren), wie uns einige Hinterlassenschaften eindrucksvoll vor Augen führen (auch auf dem Hof werden wir nochmal darauf hingewiesen). Kontakt gibt es aber keinen und wenn ich es mir aussuchen darf, treffe ich auch lieber Elche oder Rentiere.

Um die Mittagszeit kommt dann der Hof mit seinen roten und gelben Gebäuden in Sicht. Aber noch müssen wir über einen Fluss, die Glauna (wie auch sonst!) und leider gibt es die von mir herbeigewünschte Brücke nicht, sondern nur einen Staudamm, der den Strom für den Hof erzeugt. Also heißt es auch heute wieder ab ins kalte Wasser – unangenehm bei dem Mistwetter, aber nicht zu ändern. Der Fluss selber hat zwar ordentlich Strömung, ist aber durch die Staustufe nicht besonders tief – somit für erfahrene Wasserwanderer wie uns kein Problem.

Ab jetzt ist die Orientierung einfach: immer der Stromtrasse nach, dafür wird der Untergrund immer matschiger und sumpfiger. Das Laufen ist hier kein Spaß und das Ziel vor Augen zu haben, ihm aber gefühlt nicht näher zu kommen schlägt auf die Laune…

Noch einmal queren wir einen Fluss, diesmal aber mit Brücke und dann erreichen wir auch den Hof. Unsere Ankunft wurde schon lange bemerkt und uns kommt Eldbjørg (wie ich später erfahre) entgegen und empfängt uns. Sie kennt die Namen von Simone und Stefan, die sich vorher angemeldet haben, aber auch für mich gibt es einen Schlafplatz und Essen.

Endlich raus aus den nassen Sachen und in trockene Kleider – gleich fühle ich mich wieder wohler. Als ich mir dann auch noch einen heissen Kaffee machen kann ist die Welt wieder bunt. Wir gehen zusammen rüber ins Wohnhaus, dort treffen wir in der Küche auf zwei norwegische Wanderkollegen, die wir schon aus der Verslia-Hütte kennen. Einer der beiden heißt Hans Victor und ist wohl ein Bekannter Influencer hier…?! Ihr könnt ja mal auf Instagram nach ihm suchen. Sie machen hier aber nur Rast und ziehen bald weiter zur Holden Fjellstue.

Während wir in der Küche sitzen, Telefonate führen und den Zugang zum WLAN-Netz nutzen, beginnt Eldbjørg mit den Vorbereitungen für unser Essen. Es gibt Frikadellen, Brokkoli und Blumenkohl, Kartoffel, braune Soße und Butter – und zwar von allem sehr reichlich, was uns aber keinerlei Probleme bereitet. Wir essen zu dritt in der Stube und lassen auch nicht ein Blumenkohlröschen übrig. Wie unglaublich lecker so ein einfaches Essen sein kann!

Fazit: wieder ein Tag mit einer besonderen Begegnung und einer Gelegenheit die norwegische Gastfreundschaft kennen zu lernen. Gaundalen bleibt mir auf jeden Fall in Erinnerung.