25,32 km – 07:31 h

Wie angekündigt hat es in der Nacht angefangen zu regnen. Und das war nicht nur Regen, das war REGEN!!! Gut, das hatte ich ja schonmal, was Neu ist, ist die Tatsache, dass es auch nicht aufhört als ich los will. Ich habe Zeit, also bleibe ich liegen und warte eine Regenpause ab. Die kommt tatsächlich, reicht allerdings nur grade so lange, bis ich meine Sachen gepackt, das Zelt abgebaut und mit allen Klamotten unter dem Shelter sitze. Immerhin eine Gelegenheit zwar zugig und kalt, aber trocken zu frühstücken. Ein Komfort den ich im Fjell nicht hätte, dort wäre ich ohne Frühstück los gestiefelt.

Ich starre während des Frühstücks auf die Stundenprognose für das Wetter, aber finde kein Zeitfenster in dem es nicht regnet. Hier bleiben will ich trotzdem nicht, also mache ich einen Kompromiss mit mir selbst: ich laufe nicht, wie geplant, auf der DNT-Strecke über die Berge, sondern halte mich an den Schotterweg am Seeufer. Bei Femundshytta kann ich mich entscheiden, ob ich doch in die Berge aufsteige, ob ich einen Zeltplatz suche, oder ob ich notfalls durchlaufe und heute schon an der Langen Gjestegård ankomme. Auf jeden Fall werde ich mich auf den Weg machen. Da ich noch so einige Regentage auf meiner Wanderung erleben werde kann ich mich jetzt langsam daran gewöhnen, wo ich doch weiß, dass spätestens morgen dann eine komfortablere Unterkunft auf mich wartet. Wie ich finde ein guter Plan die Sommersonnen-Komfortzone mal zu verlassen!

Ich stöpsle mir Kopfhörer in die Ohren, wähle meine NPL-Playlist und mache mich trotz Regen gut gelaunt auf den Weg. Ich finde es manchmal unheimlich, welchen Einfluss das richtige Lied zur richtigen Zeit auf die eigenen Gefühle hat. Grade beim Loslaufen kommt:

https://open.spotify.com/track/3uKZLPL5KsS4t0rVk3s2r5?si=OaRAkW0wQvGiDkLwyiuw-A

Ich habe in der Playlist so einige norwegische Songs und Interpreten, die ich zwar nicht verstehe, die aber gute Laune machen. Dafür treibt mir das nächste Stück fast Tränen in die Augen… Wanderemotionen.

Ich bin scheinbar der einzige Mensch, der sich bei dem Regen raus traut. Von der Femund-Gegend, auf die ich mich so gefreut habe sehe ich leider auch nicht viel… Es begegnet mir niemand, bis ich an meinem Zwischenziel, Femundshytta, angekommen bin. In der Annahme das es hier ebenfalls überdachte Sitzgelegenheiten gibt, wollte ich eigentlich eine längere Pause einlegen. Leider gibt es nichts dergleichen und es regnet grade Bindfäden.

mehr kann ich leider nicht zeigen

Jetzt heißt es schnell eine Entscheidung treffen: Fjell, Fähre oder weiter am See entlang? Ich bin nun sowieso nass, also kann ich auch weiterlaufen und nehme den „Seeweg“, der ab hier zu einem alten, aber sichtbaren DNT-Trail wird. Noch ein paar Kilometer, dann baue ich mein Zelt auf und wettere den Rest des Tage ab – so meine Überlegung. Nach fast genau 5 Kilometern finde ich eine ebene Fläche die mir geeignet scheint. Jetzt heißt es Zeltaufbau im Regen! Erst das Aussenzelt, dann die Unterlage, dann das Innenzelt… wo ich die klitschnassen Klamotten lasse weiß ich allerdings noch nicht so recht. Fünf Minuten später hat sich die Frage auch erledigt!

Ich baue mein Zelt auf wie immer. Und wie immer achte ich sorgfältig darauf das Gestänge richtig zusammen zu stecken. Und trotzdem – als ich Spannung auf den Gestängebogen gebe bricht tatsächlich eines der Carbonelemente! Verflixt nochmal! Aber was nutzt es sich zu ärgern? Ich brauche eine Lösung und die steckt in Form einer Reparaturhülse im Set, das bei Lieferung enthalten war. Zwar wird jetzt beim Wühlen im Rucksack auch der Inhalt nass, aber was soll’s.

Jetzt wird es kritisch! Natürlich kann ich mir sagen: Idiot, warum hast du nicht vor der Tour das Reparaturser schon mal angesehen? Dann hätte ich mir wahrscheinlich die Frage gestellt, wie man einen 6mm-Gestängebogen mit einer 9mm-Hülse so reparieren soll, dass die Konstruktion auch weiterhin den Belastungen standhält… Ich versuche mein Bestes, fixiere die Hülse mit dem guten Spinnaker-Klebeband über der Bruchstelle, schiebe die Stange wieder ein und gebe vorsichtig Spannung… und erneut ein Bruch. Mist, denke ich, die Hülse ist verrutscht… Nein! Das gleiche Stangenelement ist ein zweites Mal hinter der Hülse gebrochen!!

Jetzt mal ehrlich! Ja, es ist ein Ultra-Leicht-Zelt, aber trotzdem muss man es doch nutzen dürfen! Und von einem Zelt für runde 800,00€ erwarte ich mehr! Meine einzige Option ist nun weiterlaufen bis zur Langen Gjestegård und hoffen, dass ich dort jemanden antreffe und dass meine Hütte schon frei ist oder ich sonst eine Schlafmöglichkeit finde. Das Zelt ist komplett hin! Erst beim Weiterlaufen realisiere ist das und langsam steigt Wut, dann Fassungslosigkeit in mir auf.

Ist es das zweite Gesicht? Das dritte Auge? Vorsehung? Oder was hat dafür gesorgt, dass in nur vier Tagen ein Ersatzzelt geliefert wird?? Was wäre, wenn kein Treffen mit Nina und Berndt geplant gewesen wäre? Was hätte ich gemacht, wenn das Zelt im Skjærkerfjell oder in der Narbar-Ebene den Geist aufgegeben hätte? Was wäre wenn… was für ein Glück! Trotzdem, während ich dies schreibe kocht die Wut wieder in mir hoch. Auf Ausrüstung in der Preisklasse muss man sich doch wohl verlassen können! Das es dieses Zelt in der UL-Version nicht mehr zu kaufen gibt hat offensichtlich einen Grund! Und den werde ich nachdrücklich bei Nordisk erfragen!

Bis auf die Knochen durchnässt erreiche ich in Rekordzeit die Gjestegård. Zeitweise ist es mehr Joggen als Wandern, aber ich muss mich bewegen um warm zu bleiben. Der Wind ist schärfer geworden und ich fange an in den nassen Klamotten zu frieren. Zum Mythos der wasserdichten Schuhe füge ich in Gedanken den Mythos der wasserdichten Regenjacken und der Regenhosen hinzu. Wobei acht Stunden Dauerregen natürlich schon eine Belastungsprobe ist.

An der Gjestegård stehen zwar Autos, aber auf mein Klopfen und Rufen reagiert niemand. Frustriert wähle ich die Kontaktnummer, auch hier kein Erfolg. Erst als ich nochmals „nachdrücklich“ mit der Faust gegen die Eingangstür schlage bewegt sich jemand und ich treffe Arne, meinen Mailkontakt bei der Buchung. Ja, die Hütte ist auch heute schon frei! Mir fällt ein Stein vom Herzen. Heißer Kaffee, heiße Dusche, heißes Essen – in der Reihenfolge, aber erst wird die komplette Bude mit nassen Sachen dekoriert (ja auch der Rucksackinhalt inkl. Schlafsack ist nass), dann muss ich meinen Frust loswerden und rufe erstmal Pe an.

1-Raum-Wohnung mit Dusche im Wohnzimmer

Den Rest des Abends verbringe ich damit, meine Optionen zu überdenken und versuche herauszufinden, welche Hütten auf der weiteren Strecke liegen. Schlimmstenfalls muss ich meinen Aufenthalt hier auf drei Nächte ausdehnen, dann ist die letzte Etappe nach Vauldalen aber inklusive Querfeldein-Abschnitt fast 38 km lang… und das wieder bei Regen?

Fazit: tja, dass fällt mir heute sehr schwer… Eigentlich will ich diesen Tag nur vergessen. Obwohl: eine Erfahrung nehme ich für die weitere Reise mit: Regenschauer sind ok, wenn aber absehbar ist, dass es den ganzen Tag regnet und ich nicht zwingend aufbrechen muss, wird in Zukunft der Regen im Zelt abgewettert.