22,17 km – 08:08 h
Es hat ja gestern schon den ganzen Nachmittag und bis in den Abend hinein geregnet und so ging es auch in der Nacht weiter. Der Regen trommelt auf das straff gespannte Aussenzelt – in unserem Camper immer ein schönes und beruhigendes Geräusch, es hat so etwas von Geborgenheit… Jetzt, in diesem kleinen Zelt empfinde ich das aber mal ganz anders! Mit Geborgenheit hat das nicht mehr viel zu tun und ich hoffe inständig, dass der vorhergesagte Sonnenschein früh genug einsetzt um alles wieder zu trocknen.
Nun, diesmal hat Petrus wohl zugehört! Um 05:00 Uhr scheinen die ersten Sonnenstrahlen auf mein Zelt! So habe ich Zeit genug den Schlafsack, Innen- und Aussenzelt und alle Utensilien, die in der Apsis gelegen haben zu trocknen. Ich genieße in der Zwischenzeit meinen Kaffee, mache mein Müsli und lege noch zwei extra Scheiben Knäckebrot mit Tubenkäse dazu. Morgen kann ich ja einkaufen! Beim Packen wundere ich mich, wieviel Platz ich im Rucksack habe – allerdings habe ich auch nahezu keine Verpflegung mehr. Hoffentlich ist der Vorratsraum in der Korsberghytta gut gefüllt, sonst wird es heute knapp. Wenn ich einen Umweg von etwa drei Kilometern laufen würde käme ich an einem Joker-Markt vorbei, aber das spare ich mir. Einkaufen würde ich eh nur Äpfel, Tomaten, Gurke und die müsste ich auch sofort essen.
Um 08:00 Uhr bin ich bereit zum Aufbruch und verabschiede mich noch von Simone (Betonung bitte auf dem „m“ und das „e“ bleibt stumm!) und Apollon. Beide wünschen mir noch alles Gute, es war wirklich schön eure Bekanntschaft zu machen!
Der Tag fängt also mal wieder hervorragend an! Und so soll es heute auch weiter gehen. Die erste Stunde muss ich mir meinen Weg noch suchen. Es geht ordentlich bergauf, durch Birkenwälder und sumpfige Grasflächen, dann erreiche ich den DNT-Wanderweg zur Storgrytdalseter-Hütte, die etwa auf halber Strecke liegt und die ich genau zur Mittagszeit erreiche. Als ich ankomme sind dort zwei Männer des DNT mit Reparatur- und Ausbesserungsarbeiten beschäftigt. Ich versuche eine kleine norwegische Konversation (wer bin ich, woher komme ich, wo will ich hin) und werde daraufhin zum Kaffee eingeladen. Dabei lerne ich auch die junge und völlig verspielte Hundedame Mira kennen. Ich esse dort noch ein paar krümelige Knäckebrot-Schwarzbrotscheiben mit Leberwurst (aus dem Hüttenproviant) und Käse, dann verabschiede ich mich und nehme die restlichen zwei Gehstunden in Angriff. So jedenfalls die Prognose der beiden Männer. Ich gehe da mal eher von drei Stunden aus! Der Pfad ist gut lesbar und hervorragend markiert. Dazu kommt, dass ich über eine Hochebene laufe und keine großen Steigungen mehr bewältigen muss.
Die Beine bewegen sich automatisch, ich genieße die einfache Strecke und das Gedankenkarussel beginnt sich zu drehen. Mein großes Ziel, das Nordkap zu erreichen habe ich natürlich immer im Hinterkopf, aber wenn ich so vor mich hin laufe, fokussiere ich mich lediglich auf die nächsten fünf Meter. Wenn ich einen Überblick über einen etwas längeren Streckenabschnitt bekommen will geht das nur, wenn ich innehalte und stehen bleibe. Den Kopf zu heben und den Horizont zu betrachten während ich laufe führt unweigerlich dazu, dass ich stolpere. Parallelen zum (all-)täglichen Leben? Nun, die mag jeder selber für sich ziehen.
Die Zeit vergeht schnell und schon sind wieder zwei Stunden um und ich meinem Ziel ein gutes Stück näher. Mein Gefühl, dass die prognostizierten zwei Sunden nicht reichen trügt mich nicht, ich habe immer noch knapp vier Kilometer vor mir. Überhaupt frage ich mich, wie die Norweger die Zeitangaben definieren. Wird davon ausgegangen, das junge, durchtrainierte Athleten die Strecke bei besten Wetterbedingungen laufen? Oder mittelalte Menschen mit 20-Kilo-Rucksäcken? Da verlasse ich mich doch lieber auf Streckenangaben in Kilometern.
In diesem Zusammenhang fällt mir auch noch eine andere Frage ein: Wer sorgt eigentlich dafür, dass die Wandertrails in der Regel auch als solche zu erkennen sind? Nutzt der DNT nur Wildwechsel und bringt die roten Markierungen an? Oder nutzen die Wildtiere die sorgfältig ausgesuchten Wanderwege als willkommene „Elchautobahn“? Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Wanderwege wie diese heute, jedes Jahr von so vielen Wanderern ausgetreten werden.
Schritt für Schritt und fünf Meter für fünf Meter komme ich meinem Ziel aber näher und freue mich auf die gemütliche Hütte. Am liebsten wäre mir heute, wenn ich sie für mich alleine hätte… und habe ich auch!
Wie immer wird Wasser geholt, bevor ich im Proviantraum nachschaue, was es heute Abend wohl zu essen geben könnte. Dann wird der Ofen angeheizt, ein wenig Körper und Wäsche gewaschen und dann gekocht.
Fazit: je reduziert das Leben ist, desto kleiner können die Auslöser für Glück sein, z. B. ein bisschen Sonne am Morgen und trockene Sachen.