26,38 km – 08:30 h inkl. Frühstück

Nachdem ich gestern Abend noch eine kleine, aufgegangene Naht am Schlafsack geflickt habe und mich endlich von dem Panorama der Schneeberge losreißen konnte, habe ich noch eine ganze Weile dem recht heftigen Wind gelauscht. Heute Morgen dann wieder um 05:00 raus, diesmal ohne Daunen im Haar. Die Luft ist klar, die frühe Morgensonne trocknet das wenige Kondenswasser im nu ab und ich sitze mit einem heissen Kaffee vor dem Zelt und höre der Stille zu. Es ist recht kalt und der Kaffee wärmt. Fast ist mir ein wenig wehmütig zumute. Diese frühen Morgenstunden, wenn der Tag aufwacht, sind und bleiben die schönsten Stunden für mich. Zu wissen, dass ich heute nur laufen muss, egal wie weit und egal wie schnell, dass mich niemand treibt und dass ich mir kein Ziel vorgeben muss, löst eine unglaubliches Gefühl von Freiheit in mir aus. Vielleicht ist es auch nur ein Sauerstoffrausch durch die frische, kalte Luft. Egal was es ist, es fühlt sich unglaublich gut an. Auf Müsli habe ich keine Lust, also verschiebe ich das Frühstück auf später. Um 06:30 bin ich auf der Straße und die nächsten drei Stunden begegne ich keiner Menschenseele.

Morgenstund…

Um ca. 10:00 Uhr bekomme ich doch langsam Hunger und freue mich auf das Imingfjell Turisthjem. Das Gebäude ist zwar geschlossen, aber eine windgeschützte Ecke, vielleicht mit Tisch und Bank, wird sich finden lassen. Vorher quere ich das Seeende über einen Damm. Dort steht ein Herr, der ebenso wie ich die Aussicht genießt. „Det er en fin dag!“ ruft er mir zu. Ja, ist es wirklich. Nach ein paar Brocken Norwegisch wechsle ich ins Englische bis sich herausstellt, dass er fließend Deutsch spricht. Matthias Clapier [franz. klapje:] ist gebürtiger Münchner und vor 18 Jahren hierher ausgewandert. Wir unterhalten uns etwa eine halbe Stunde. Als ich von meinem Reiseziel spreche und meine Zweifel äußere, ob ich das Nordkap auch wirklich erreiche sagt er: „La Tiden hjelpe deg! (Lass die Zeit Dir helfen)“. Als Matthias meint er wolle mich nicht aufhalten, winke ich ab. Zeit spielt heute keine Rolle, außerdem wollte ich sowieso grade frühstücken. „Frühstück hatte ich auch noch nicht, wenn Du magst können wir gemeinsam essen, ich wohne nicht weit weg!“ Wer bin ich, dass ich so eine Einladung ausschlage? Wir verabreden, dass ich meinen Weg fortsetze und Matthias mich aufliest, wenn er im See sein Eisbad genommen hat. So wird es gemacht. Ein paar Kilometer weiter lädt er mich ein und keine 10 Minuten später sind wir an seinem Zuhause. Dort serviert er dann ein fantastisches Sonntagsfrühstück mit selbstgebackenem Sauerteigbrot, selbstgebackenen Vollkorn-Brezeln, Aufschnitt, Butter, Käse und sogar gekochte Eier. Ich biete zwar an mein etwas zerquetschtes Supermarktbrot und den leicht zerlaufenen Käse beizusteuern, aber Matthias winkt ab und lädt mich ein, sein Gast zu sein. Wir essen und erzählen, und erst etwa drei Stunden später verabschiede ich mich wieder, nicht ohne die Kontaktdaten ausgetauscht zu haben.

Zum Abschied bietet Matthias mir noch seine Hilfe an, falls etwas passiert und ich jemanden brauche der sich auskennt. Takk for maten, Matthias!

Nun bin ich mit mir und meinen Plänen im Reinen. Solche Begegnungen hätten im einsamen Fjell sicher so nicht stattgefunden. Und sind es nicht auch diese kleinen Dinge, die letztendlich eine Reise ausmachen?

Ikk blikke wat, wat du nit blikkst…

Ich setze meinen Weg fort und denke über das Erlebte nach. Nach etwas über zwei Stunden komme ich wieder an einem Gapahuk vorbei, nicht ganz so schön und nicht ganz so abgelegen, aber ich denke ich mache trotzdem Schluss für heute. Die letzten beiden Tage waren sehr lang und schließlich habe ich Zeit! Hier kann ich geschützt kochen und einen Zeltplatz direkt am Fluss finde ich auch. Ich warte mit dem Zeltaufbau bis die Spaziergänger wieder verschwunden sind, die mit dem Auto grade bis vor die Hütte gefahren sind.

Fazit: Lass die Zeit Dir helfen! Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir der Satz.