29,07 km – 07:30 h

Gestern Abend habe ich bis auf ein paar Kleinigkeiten alles zusammengepackt um heute schnell auf die Straße zu kommen. Trotzdem gönne ich mir ein Frühstück (die drei Brotscheiben passen nicht mehr in den Rucksack) und zwei Kaffee bevor ich das Zimmer verlasse. Unten an der Rezeption stolpere ich über einen Briefumschlag, der mit meinem Namen auf dem Tresen liegt. Darin ist ein Schlüssel für das Zimmer 207…🤔 Da muss wohl was bei den Buchungen falsch gelaufen sein. Egal, ich habe meine zwei Nächte bezahlt und auch die Buchungsbestätigung. Ich schreibe noch ein paar Zeilen auf den Umschlag um die Situation zu klären, dann mache ich mich aus dem Staub – bzw. in den Staub.

Großbaustelle

Das ich heute wieder viel auf Asphalt unterwegs bin ist mir ja bewusst, aber ich habe versucht möglichst Nebenstraßen oder Rad- und Fußwege zu suchen. Das hat auch gut funktioniert, nur ist wohl beschlossen worden, auf ganzer Länge der ersten 13 km eine neue Industrieanlage zu bauen. Ab 06:30 Uhr laufe ich praktisch ausschließlich an der Baustelle entlang. Gut, finde ich persönlich jetzt nicht uninteressant. Es ist schon spannend zu sehen, wie in Norwegen mit eng begrenzten Platzverhältnissen und Felsstein umgegangen wird. Ich tue mich heute allerdings sehr schwer damit in Tritt zu kommen. Der Rucksack fühlt sich irgendwie nicht richtig an und ist mit dem neuen Proviant wieder ungewohnt schwer. Aber ich bin früh dran und habe viel Zeit für die knapp 30 km bis zum Sandviken Camping. Eine Empfehlung des netten Verkäufers in der Intersport-Filiale.

Das Tor zu Turin‘s Berg?

Da ich nur an der Måna entlanglaufe bewege ich mich die ganze Zeit im Schatten. Dabei habe ich immer die Worte von Silvio im Ohr: „… wenn dir kalt ist läufst du zu langsam…“. Na gut, dann eben einen Schritt schneller!

Meine Gedanken kreisen heute Morgen ständig um die Projekte und Baustellen in unserem Unternehmen. Ist ja eigentlich kein Wunder bei den Ausblicken die sich mir hier bieten. Ich versuche die Gedanken bewusst beiseite zu schieben, bin aber nur semi-erfolgreich. In Geilo werde ich versuchen mal aktuelle Statusmeldungen zu bekommen, damit geht es mir dann besser. Ansonsten hadere ich immer noch mit meiner Entscheidung bis Geilo über Straßen zu laufen. Dabei gibt es keine andere Möglichkeit! Wegen des Paketes kommt Auslassen nicht in Frage und der Weg über die östliche Vidda ist und bleibt gesperrt. Also warum denke ich eigentlich über solche, nicht beeinflussbaren Fakten nach? Der Himmel ist blau, die Sonne lacht mir seit 19 Tagen ins Gesicht ( ok, dafür bezahle ich mit Strassenkilometern) – eigentlich kann ich doch zufrieden sein! Und uninteressant ist die Strecke ja auch nicht.

rechts die Straße, links der Fuß- und Radweg – die Prioritäten sind mir hier nicht ganz klar…

Plötzlich stehe ich mitten im Baustellenverkehr. Rings um mich herum bewegen Radlader, Raupenfahrzeuge und riesige LKW Tonnen von Gestein. Ich bin mir total unsicher, ob ich irgendwelche Verbotsschilder oder Bauzäune übersehen habe. Vor einem ca. 20 m tiefen Abhang muss ich stehen bleiben und sehe unter mir eine Baustrasse… da soll ich durch? Das Garmin meint ja, natürlich, das ist der Wanderweg. Sicherheitshalber hole ich eine zweite Meinung eines Maschinenführers ein, der grade sein Fahrzeug wechselt. Auf meine Frage, wie ich hier durch komme, grinst er mich an und winkt mich weiter. Der Weg sei schon richtig und in ein, zwei Jahren auch wieder erkennbar. Ich soll ruhig weitergehen, muss aber unten über die Baustelle. In Deutschland undenkbar! Da werde wir schon nervös, wenn Passanten am Wochenende zu nah am Bauzaun stehen!

Pausenzeit

Die letzten 16 km geht es dann wieder an die Hauptverkehrsstraße. Ich merke das ich müde werde und als ich umknicke und mitsamt dem Gepäck flach auf der Straße liege ist klar, dass ich dringend eine Pause brauche. Die lege ich auf einem Picknickplatz ein, mit bester Aussicht (nein, passiert ist bei dem Sturz nichts, nur der Rucksack hat jetzt an der Gürteltasche ein kleines Belüftungsloch).

Um 14:25 Uhr habe ich mein Tagesziel erreicht und stehe auf dem Campingplatz. Eigentlich eine gut Sache, wenn man so früh losläuft und dann den halben Tag noch „frei“ hat! Da bleibt wieder Zeit zu schreiben und zu planen. Ich versuche grade herauszufinden, ob ab Geilo in Richtung Fagernes nicht auch ein gehbarer Weg durch den Langsua Nationalpark führt. Martin Kettler hat mich neulich angeschrieben und dabei den Tipp fallen lassen (https://norgepalangs2013.com). Auf senorge.no sieht die Schneeprognose dort sehr gut aus. In Geilo werde ich in der Touristinfo mal nach Karten schauen.

Die Gemeinschaftsküche, mein Lieblingsplatz

Fazit: Wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt ist es manchmal schwierig sie wieder einzufangen.