27,91 km – 08:44 h

Eigentlich müsste es heißen: runter, hoch, hoch, runter, hoch. Und damit meine ich nicht die Wanderstrecke sonder meine emotionale Verfassung. Nach dem luxuriösen Campspot und dem schönen Abend habe ich schon während der Nacht gemerkt, dass es morgens wohl feucht wird. So war es dann auch. Die Temperaturen sind unter den Gefrierpunkt gefallen und sowohl Schlafsack als auch Kopf und Mütze waren nass von Kondenswasser.

Das wurde so ungemütlich, dass ich um 05:30 aufgestanden bin. In meinem Shelter koche ich erst einmal heißen Kaffee, meine Hände sind so kalt, dass ich das Feuerzeug nicht anbekomme. Der Kaffee und das heisse Müsli wärmen auf und nun kommt auch die Sonne über den Horizont und die warmen Strahlen fallen genau auf meinen Platz. Schnell nutze ich die Gelegenheit und breite alle nassen Sachen zum trocknen aus.

Nach einer gemütlichen Morgenstunde ist alles einigermaßen trocken und mein erstes „Tief“ überstanden. Routiniert packe ich den Rucksack, das funktioniert mittlerweile im Schlaf, und laufe ins Morgenlicht.

Nach 100 m sehe ich den Fluss, der die ganze Nacht so schön gerauscht hat – und den Weg, der auf der anderen Seite weiter geht… Gestern noch habe ich Sprüche geklopft über das Furten durch Pfützen, jetzt stehe ich vor einem ausgewachsenen Bach (der ohne die Schneeschmelze sicher kein Hindernis wäre). Etwas zaghaft sehe ich mir die Situation an. Ober- und unterhalb meiner Stelle gibt kein Rüberkommen. Dort wo ich stehe scheint eine Betonplatte unter dem Wasser zu liegen, sicher eine Art Brücke. Also Schuhe und Socken aus, Rucksack nur lose über die Schultern gehängt und rein in das eiskalte Wasser. Die Strömung reißt gleich beim ersten Schritt den Trekkingstock weg, gut das es Handschlaufen gibt. Nun weiß ich ja woran ich bin und setze vorsichtig einen Schritt vor den anderen und taste nach festem Halt. Das Wasser reicht mir zwar bis über die Knie, aber ich komme gut an das andere Ufer. Nach dem eiskalten Schmelzwasser und dem Adrenalinkick bin ich wach und setze meinen Weg gutgelaunt fort.

Der Weg führt durch Birkenwald und natürlich über sumpfige Wiesen, aber das kümmert mich heute nicht. Ich halte Ausschau nach Elchen, bei den ganzen frischen Spuren müssen welche in der Nähe sein, aber leider sehe ich nichts. Es ist heute früh unglaublich schön in der Natur. Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos blau und ich fühle mich fast ein bisschen berauscht. Ich liebe diese frühen Morgenstunden und genieße mein „Hoch“

Der nächste Streckenabschnitt beginnt mit einer Schotterstraße, mündet aber bald auf einen asphaltierten Verkehrsweg, dem Rjukanvegen, ein Zubringer in die Stadt. Gut, denke ich, Straße laufe kenne ich und es gibt auch nicht besonders viel Verkehr… aber WARUM bitte muss man 12 km lange Straßen ohne jede Kurve bauen?

Schlagartig ist es da, das nächste „Tief“! Immer wieder schaue ich nach, ob es nicht doch irgend einen Weg oder Pfad gibt, der einigermaßen parallel verläuft, aber da ist nichts. So eine Strecke ist mörderisch und natürlich freue ich mich über das anhaltend gute Wetter, aber jetzt brennt mir die Sonne auf die Mütze. (Natürlich möchte ich die Strecke noch viel weniger bei kaltem, grauen Nieselregen laufen). Ich mache mir Musik an und lasse meine Beine einfach tun was sie wollen. So eine Wanderung kann schon sehr meditativ sein… wenigsten die Landschaft links und rechts bringt etwas Abwechslung und immer wieder habe ich die weißen Berge vor Augen und weiß warum ich hier auf der Straße laufe.

Ich sehne das Ende der Straße und den Beginn des nächsten Trails herbei. Als ich dann endlich den Abzweig erreiche mache ich eine schöne lange Mittagspause. Dabei lese ich zwei Nachrichten von Kathi, die mir weit voraus ist. Genau diesen Abzweig hat sie auch versucht, musste aber umkehren, weil sie bis zu Hüfte im Schnee stand.

Ok, danke für den Hinweis, aber jetzt bricht bei mir der mentale Notstand aus. Noch weitere 5 km auf dieser Straße??? Es hilft ja nicht, campieren kann ich hier nicht.

Um ca. 15:00 Uhr kann ich die Straße verlassen und suche mir einen Platz für das Zelt. Ich lande am äußersten Ende einer Ferien-Hütten-Anlage. Dort stehen direkt am See einige Bänke und ein einigermaßen ebenes Fleckchen Boden finde ich auch (Danke für den Hinweis Kathi!). Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier noch auf privatem Grund stehe, also wird erstmal Tee gekocht, mein Abendessen zubereitet, ein wenig telefoniert… jetzt ist es 18:30 Uhr und niemand ist hier vorbei gekommen. Also ist jetzt Zeltaufbau angesagt und der Tag endet mit einem „Hoch“.

Morgen geht es dann die letzten 16 km nach Rjukan. Ich freue mich jetzt schon auf die Familienpizza!!

Fazit: ein einziger Tag kann sein wie eine Achterbahnfahrt. Hauptsache am Ende der Fahrt ist alles gut gelaufen.