0,00 km – 00:00 h

Gestern habe ich noch geschrieben, dass es der letzte Pausentag gewesen ist. Weit gefehlt! Seit heute Nacht um 2:00 Uhr heult und pfeift der Wind und seit ungefähr 4:00 Uhr so stark, dass selbst die Hütte wackelt. Laut Wetterapp haben wir Windstärken um die 70 km/h. Das ist Windstärke 8! Ich liege wach in meinem Schlafsack und weiß nicht was ich tun soll. Durch den Sturm weitergehen? Einen weiteren Pausentag anhängen? Um 6:00 Uhr ziehe ich mich an und gehe probeweise ein paar 100 m die Straße Richtung Norden entlang. Selbst ohne Rucksack muss ich mich ordentlich gegen den Wind stemmen. In diesem Moment ist für mich eigentlich klar, dass ich den Sturm hier in der Hütte aussitzen werde. Ich gehe wieder zurück, mache mir einen Kaffee und setze mich in den Aufenthaltsraum des Hotels. Von dort kann ich die An- und Abfahrt der Busse beobachten. Ich überlege, wie es wohl den anderen geht, die gerade mitten im Fjell in ihren Zelten liegen und hoffe, dass es ihnen gut geht. Dabei fange ich wieder an zu zweifeln: soll ich vielleicht doch lieber weiter gehen? Alle 10 Minuten checke ich Die Wetterprognosen, aber es wird nicht besser. Im Gegenteil, bis circa 10:00 Uhr soll der Wind noch zunehmen.

Mein Kopf sag mir ganz klar, dass es keinen Sinn macht heute weiter zu laufen. Auch zeitlich habe ich überhaupt keinen Druck unbedingt Strecke machen zu müssen. Es ist sogar günstiger, eine weitere Nacht hier in Olderfjord zu verbringen, als später in einem teuren Hotel in Honnigsvåg. Trotzdem bin ich innerlich voller Unruhe und mein Bauchgefühl treibt mich weiter. Dies ist wieder ein Moment, in dem ich das Alleinreisen hasse. Es gibt niemanden mit dem ich eine Entscheidung diskutieren könnte. Ich versuche Pe zu erreichen um eine zweite Meinung zu hören, erreiche aber niemanden. Ist ja auch eigentlich Blödsinn, wie soll sie mir bei einer Entscheidung helfen können, ohne die Gegebenheiten hier vor Ort zu kennen? Immer wieder gehe ich meine Zeitplanung durch. Definitiv habe ich mindestens drei oder vier Tage Puffer bevor das Schiff am 30. September in Honnigsvåg ablegt.

Um 9:00 Uhr ringe ich mich endlich zu einem Entschluss durch und frage an der Rezeption, ob die Hütte eine weitere Nacht zur Verfügung steht. Die Verlängerung ist kein Problem und der Mitarbeiter am Tresen bestätigt mich in meiner Entscheidung. Bei diesem Sturm würde er auf keinen Fall weiter gen Norden oder in das offene Fjell gehen. Er warnt mich sogar, dass es weiter nördlich noch windiger sei, und checkt für mich die Straßenkameras auf der E6 in Richtung Nordkap. Und richtig, ein Stück vor dem Nordkaptunnel haben wir aktuell Windgeschwindigkeiten von knapp 80 km/h.

Ich buche eine weitere Nacht und nutze die Chance, mich weiter in Gelassenheit zu üben – versuche den Gedanken an das Vorwärtskommen zu unterdrücken und sage mir immer wieder, dass ich Zeit genug habe. Es kommt nicht auf einen Tag an, auch nicht im Hinblick auf mögliche Temperaturstürze oder Schneefälle. Die nächsten Tage bleiben die Temperaturen oberhalb der 0° Grenze.

Jetzt liege ich wieder in der Hütte, lade einen weiteren Roman auf mein E-Book und werde später noch einmal zum Supermarkt laufen. So komme ich also doch noch zu meiner Tiefkühlpizza.