25,71 km – 09:04 h

Heute bin ich mal wieder als früher Vogel unterwegs. Schon um 05:45 Uhr ziehe ich los und fühle mich wie der einzige Mensch auf der Erde. Der Morgennebel hängt noch tief um mich herum, es ist totenstill, nur das Wasser höre ich rauschen und es riecht eindeutig nach Herbst. Die Luft ist kalt und fühlt sich so „sauber“ an – was anderes fällt mir als Beschreibung nicht ein. Ich fühle mich großartig und freue mich auf den Wandertag. Ich glaube genau so würde ich „Glück“ definieren.

Je weiter ich laufe, desto richtiger war meine Entscheidung gestern das Zelt auf der Hochebene aufzuschlagen. Gleich nach den ersten Schritten geht es über einen Fluss, dann steil bergauf in das Isdalsfjell. Ich balanciere über ein Geröllfeld nach dem anderen, bis nach ca. 2 Stunden die ersten möglichen Zeltplätze in Sicht kommen. Gestern hätte ich bis hierher nicht mehr laufen wollen. Heute empfinde ich die Strecke als spannend und freue mich über die „Landschaft“ – obwohl noch nicht viel zu sehen ist.

Schon um 09:30 bin ich an der Gappohytta, grade richtig für ein zweites Frühstück. Eine der Hütten ist leer, in der anderen sitzen grade zwei Väter mit ihren beiden Söhnen am Frühstückstisch. Sofort wird mir ein Kaffee angeboten, also bleibe ich und mache die Pause in Gesellschaft. Die Jungs sind nicht sehr gesprächig, dafür interessieren sich die beiden Männer um so mehr für die NPL-Tour und fragen mir Löcher in den Bauch, während sie die Hütte aufräumen. Ich bleibe noch eine halbe Stunde nachdem die Vier sich verabschiedet haben. Erst als ich ebenfalls weiter will sehe ich, dass die Jungs eine Tüte Bamse Mums vergessen haben… oder war das als Geschenk für mich gedacht?

Nun reißen auch die Wolken auf und den Rest des Tages laufe ich im Sonnenschein und unter blauem Himmel durch die Herbstfarben Norwegens.

Oder auch durch die Herbstfarben Schwedens, denn heute schneide ich noch einmal für gut 5 Kilometer einen Zipfel des Nachbarlandes.

Danach geht es dann in Norwegen weiter, wie ein kleines Hinweisschild ganz unaufgeregt bekannt gibt:

Die Ausblicke sind fantastisch und ich bleibe alle paar Minuten stehen und versuche mir die Bilder einzuprägen.

Die Fotos kommen an die Realität mal wieder bei weitem nicht heran, aber vielleicht vermitteln sie einen kleinen Eindruck warum ich so ins Schwärmen kommen.

Wie gestern geplant, möchte ich heute in der Goldahytta übernachten, so oft wird es die Gelegenheit einer norwegischen Wanderhütte nicht mehr geben. Auch sind für heute Nacht ordentliche Regenfälle angekündigt. Als ich oben auf einer Anhöhe zufällig wieder Netzempfang habe wird meine Hoffnung auf eine einsame Hütte nur für mich alleine allerdings enttäuscht. Einige Betten sind bereits vorgebucht. Ich überlege kurz, ob ich nicht doch lieber die Zeltoption wählen soll, buche dann aber doch selber eine Koje in dem noch unbelegten Raum. Vielleicht habe ich ja wenigstens ein Zimmer für mich. Und außerdem machen die Bekanntschaften auf einer Reise diese oft wertvoller – dass durfte ich ja nun schon ein paar mal erleben.

Durch herbstfarbene Birkenwälder erreiche ich mein Ziel kurz nach drei. Eine der beiden Hüten ist besetzt, die von mir gebuchte ist noch leer. Grade als ich den Kaffee aufgesetzt habe schaut Max herein und trinkt gerne eine Tasse mit, will aber noch zwei oder drei Kilometer weiter und im Zelt schlafen. Er gibt sich bei seinem Aufbruch die Klinke mit drei Schwedinnen in die Hand. Die drei Frauen sind dann wohl meine Mitbewohnerinnen für heute. Der übliche Smalltalk und die Fragen nach dem Woher und Wohin sind schnell geklärt, dann stoßen zwei weitere Frauen, diesmal Norwegerinnen dazu und schauen sich in der Hütte um. Jetzt wird es richtig voll hier. Da ich morgen wieder früh los will biete ich den beide an das Zimmer frei zu machen und eine Koje im Hauptraum zu beziehen (eben ganz Gentlemen der alten Schule), sie lehnen aber dankend ab und wollen im Zelt schlafen.

Den Rest des Abends verbringe ich mit Schreiben und lesen und versuche noch ein paar mal mit meinen Mitbewohnerinnen ins Gespräch zu kommen, bis auf eine tun sie sich aber mit der englischen Sprache sehr schwer.

Fazit: noch ein Tag, der sich mit leuchtenden Farben in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Norwegen im Herbst ist ein unvergessliches Erlebnis. Wenn ich es jetzt noch schaffe Polarlichter zu sehen ist meine To-Do-Liste vollständig abgehakt.