29,18 km – 09:05 h
Der 20. Tag und wieder beginnt er mit Sonnenschein. Nach dem gestrigen (gefühlt) halben Pausentag bin ich wieder früh aus den Federn – das meine ich wortwörtlich, mein Daunenschlafsack scheint offensichtlich in der Mauser zu sein. Gut, muss ich mich heute Abend drum kümmern. Ein gemütliches Frühstück in der komfortablen Campingküche, dann mache ich mich auf den Weg. Der heutige Plan: ca. 21 km Strassenlauf – eigentlich ja keine Herausforderung mehr 💪
Es wird den ganzen Tag durch das Tessungdalen gehen, immer entlang des Tessungåe, einem ausgewachsenen Wildwasserfluss. Ich treffe auch tatsächlich eine Gruppe von Kajakern, die sich halsbrecherisch den Fluss herunterstürzen. Aber grundsätzlich ist die Tour heute wenig ereignisreich. Es gibt…
… mal eine andere Art von intensiver Dachbegrünung… Ich finde heute schnell in meinen Strassentritt und trotte vor mich hin. Die Gedanken fließen durch den Kopf, aber nichts, worüber ich nicht schon zig mal geschrieben habe. Eine Weile denke ich darüber nach ob man wirklich „nichts“ denken kann. Wie mag sich das anfühlen? Visualisiert man die Buchstaben des Wortes „nichts“? Oder einfach ein schwarzes Loch? Also bei mir klappt es jedenfalls nicht. Als ich auf die Uhr schaue sind schon drei Stunden und fast 14 km vorbei… wird Zeit für eine Pause. Leider bin ich grade in einer Art Bauernsiedlung, überall Höfe und Gärten. Irgendwann schlage ich mich einfach ans Flussufer durch und halte Siesta. Ich habe ja nicht mehr viel vor heute, also dehnt sich die Pause aus zu einem kleinen Nickerchen.
Ich bin wieder auf dem Weg und komme über die nächste Hügelkuppe, da sehe ich vor mir am Straßenrand ein Dorffest (?). Na toll. Kuchenstände, kalte Getränke…
Beim Näherkommen erkenne ich eine Art Theater? Oder eine Zeremonie? Eine Gruppe Menschen in braunen Kapuzenkutten knien vor dem Eingang zu einer Hütte, daneben ein Mann, der aus einem großen Buch rezitiert… Hmm… man kennt das ja aus dem Fernsehen: ahnungsloser Wanderer stolpert aus Versehen in ein uraltes Geheimritual der Eingeborenen und ist plötzlich auf ewig verschollen… Ich seh lieber zu das ich weiter komme.
Da ich meine heutige Kilometerleistung schon erreicht habe, halte ich die Augen nach einem Lagerplatz offen. Allerdings wird es nun langsam steiler und die Straße schlängelt sich in Serpentinen in die Höhe. Eigentlich muss ich langsam wissen, dass Serpentinen keine guten Voraussetzungen für ein Zeltplatz sind: links steil runter, rechts steil hoch. Gut, laufe ich halt weiter… und es wird steiler und steiler und meine Motivation wird weniger und weniger… Langsam schraube ich mich immer höher und sehe die ersten Schneefelder… Schnee? Hallo? Der Deal war, kein Schnee dafür Laufen auf der Straße!! Gut die ist ja auch frei aber ringsum ist nun eine schneebedeckte Hochebene. Das Imingfjell. Und ich suche ausgerechnet hier auf 1.175 m nach einem Schlafplatz! Abenteuer gerne, aber warum denn am Ende des Tages und meiner Kräfte? Warum nicht am frühen Vormittag, wenn die Laune gut und ausreichend Motivation vorhanden ist? Meine Laune sinkt schnell gegen Null als es nun auch noch unangenehm windig wird. Auf einem kleinen Parkplatz stehen zwei Motorradfahrer. Als ich vorbei laufen spricht mich einer an und fragt wo ich hin will und wie lange ich heute schon unterwegs bin. Meine Antwort: „unterwegs bin ich seit neun Stunden und ich laufe so lange, bis ich einen ebenen und trockenen Platz für mein Zelt gefunden habe. Die beiden schauen sich an und dann öffnet einer wortlos seinen Kombi, greift in eine Tasche und reicht mir eine Flasche Mountain Dew, so eine Art norwegisches Red Bull. Ein wahrer Trail-Angel…! Wir stoßen auf die Abenteuer des Lebens an, dann rauschen die beiden davon.
Ich laufe nun in ein Feld mit Skihütten hinein, bis auf ein paar durchfahrende Autos ist es hier völlig ausgestorben. Hütten? Moment, mit dem Campieren vor fremden Eingangstüren habe ich doch schon Erfahrung! Ich schlage mein Zelt einfach direkt neben einer Hütte auf! Dort ist es ringsum etwas eben und ich stehe im Windschatten. Eine guter Plan, nur nicht so einfach umzusetzen. Die Schneeschmelze durchnässt hier jeden Zentimeter Boden. Es dauert eine ganze Weile, bis ich einen halbwegs trockenen Flecken gefunden habe, dann zögere ich auch nicht lange und schlage mein Lager zwischen einem Schneefeld und der Hütte auf. Jetzt trockene Sachen an, Daunenjacke über und eine heisse Brühe, bevor ich mir CousCous mit Linsen mache. Da ist sie wieder, die Motivation!!!! 💪
Es ist zwar windig, aber in der Sonne noch angenehm warm ( das Bild wirkt schlimmer als es ist). Jetzt ist meine Welt wieder in Oednung und ich genieße die Stille und das Panorama.
Mein Zelt darf heute dann mal beweisen was es zu bieten hat. Wenn es dem Wind standhält und morgen alles trocken ist, überlege ich mir nochmal, ob es wirklich ausgemustert wird. Tja und meine Motivation reicht sogar noch für ein paar von Christines Yoga-Übungen! ( Nein, dass ist nicht nur für‘s Foto gestellt!)
Fazit: wenn du glaubst es wird nix mehr, kommt von irgendwo ein Trail-Angel her.
Hey, seit ein paar Tagen lese ich hier mit.
Macht Spaß hier mit zu erleben und ich freue mich schon auf die kommenden Tage.
Ich wünsche Dir alles gute für deine Reise durch Norwegen, dass der Schnee schnell weicht und du gesund und munter das Nordkapp erreichst.
Viele Grüße
Namie
Hallo Namie,
freut mich, dass Dir die Berichte gefallen. Die Schneeverhältnisse muss ich halt nehmen wie sie sind, aber auch der heutige Tag hat mir gezeigt, dass jede Route ihre Vor- und Nachteile hat.